Erstmals nach dem Corona-Lockdown konnten sich Millionen Chinesen am verlängerten Wochenende zum Tag der Arbeit wieder etwas freier bewegen und sogar reisen. Hunderte Sehenswürdigkeiten sind wieder offen. Letztes Jahr waren 67 Millionen Menschen unterwegs. Ein kleiner Bruchteil davon sei es diesmal, berichtet der langjährige China-Korrespondent Felix Lee.
SRF News: Sind die Chinesinnen und Chinesen übers Wochenende verreist?
Felix Lee: In China sind seit Freitag erstmals seit über drei Monaten Inlandreisen wieder möglich. Wie viele Menschen landesweit unterwegs waren, ist noch nicht bekannt. Es sind aber nicht die Massen, die normalerweise die «Golden Week» nutzten.
In Peking waren 1.7 Millionen Menschen in Parks und Sehenswürdigkeiten, in Schanghai über eine Million. Fast überall ist der Zugang auf 30 Prozent der normalen Kapazitäten beschränkt. Der Pekinger Kaiserpalast der Verbotenen Stadt etwa lässt täglich 5000 Menschen ein, verglichen mit 80'000 in den Vorjahren.
Fast überall ist der Zugang auf 30 Prozent der normalen Kapazitäten beschränkt.
Sind die Touristen gerne gesehen nach der Lockerung der Massnahmen?
Ja, schon. In Peking gab es schon vor der Krise viele Kontrollposten. Wer zum Beispiel auf den symbolträchtigen Platz des Himmlischen Friedens wollte, musste sich schon immer Kontrollen unterziehen. Trotzdem war es ein deutliches Signal, nachdem auf dem grössten Platz der Welt monatelang fast niemand zu sehen war. Die Führung will das Leben normalisieren, aber weiterhin mit vielen Kontrollen und Einschränkungen.
In der Hauptstadt ist die Schutzmaskenpflicht aufgehoben. Wie passt das zu den strengen Massnahmen über die Feiertage?
Schutzmasken sind tatsächlich nur noch ein Randaspekt. Allerdings tragen die meisten die Schutzmasken weiterhin freiwillig. China ist sich Masken zum Schutz vor Smog gewohnt. Auch fürchten sich die Menschen weiterhin vor einer Ansteckung.
Es durfte entgegen früheren Plänen auch über die Provinzgrenzen hinaus gereist werden. Wie ist das zu erklären?
Wirtschaft und Tourismus sollen wieder in Gang gebracht werden. Die vielen Wanderarbeiter, die in Fabriken und auf Baustellen arbeiten, durften bereits vor einigen Wochen zurück in die grossen Städte der Küstenregion. Viele haben das aber nicht getan, was ein Novum für China ist, wo nach Regierungsbeschlüssen meist rasch etwas passiert. Von Normalisierung kann also weiterhin keine Rede sein. Der Alltag soll wieder normaler werden, doch das läuft langsam. Umso mehr sollte am Wochenende ein wichtiges Signal gegeben werden.
Viele Wanderarbeiter sind trotz Erlaubnis noch nicht an ihre Arbeitsplätze zurück.
Trotzdem wird wieder in Massen gereist. Hat China keine Angst vor einer zweiten Corona-Welle?
Diese Angst besteht auf jeden Fall. Offiziell heisst es von der Propaganda, dass alle Fälle von Neuinfizierten aus dem Ausland stammten. Es wird suggeriert, die Ausländer schleppten das Virus wieder ein. Allerdings kommt momentan kaum ein Ausländer nach China rein. Es können also nur zurückkehrende Chinesen sein. In einer Provinz im Nordosten an der Grenze zu Russland gibt es wieder vermehrt Fälle. Man blickt auch auf die Nachbarländer wie Singapur, die eine zweite Infektionswelle erlebten, die schlimmer war als die erste.
Das Gespräch führte Claudia Weber.