China entwickelt dieser Tage viel Dynamik auf dem diplomatischen Parkett. Eben erst vermittelte es eine Annäherung zwischen der radikalislamischen Hamas und der anderen starken Palästinenserfraktion Fatah.
Und jetzt kümmert sich China um den Krieg zwischen Russland und der Ukraine: Der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba weilt in Peking. Das alles habe auch mit Image-Pflege der chinesischen Führung zu tun, sagt China-Kenner Kai Strittmatter.
SRF News: Wie ordnen Sie die jüngsten diplomatischen Aktivitäten Pekings ein?
Kai Strittmatter: Chinas Ruf hat in den letzten Jahren etwas unter seiner von grossem Selbstvertrauen getragenen Aggressivität in der Aussenpolitik gelitten. Jetzt hat es ein grosses Interesse daran, als Friedensstifter in der Welt dazustehen, denn der Ruf Chinas hat gelitten. China möchte als Stimme des globalen Südens wahrgenommen werden. Und tatsächlich hat Peking etwa zwischen Saudi-Arabien und Iran schon vermittelt und einiges erreicht. Doch mit Russland und der Ukraine dürfte es ein bisschen schwieriger werden.
Kann die Ukraine der chinesischen Vermittlertätigkeit überhaupt trauen?
Die Ukraine ist derzeit in einer etwas verzweifelten Position: Der militärische Druck seitens Russland wächst, zugleich weiss Kiew nicht, ob es nach der US-Präsidentschaftswahl weiterhin auf die USA als stabilen Alliierten zählen kann.
Es stellt sich die Frage, ob Peking wirklich ein neutraler Vermittler ist.
Die Ukraine hat also ein Interesse daran, alle vorhandenen Möglichkeiten auszunutzen – und China ist eine davon. China hat grossen Einfluss auf Russland, deshalb muss man ganz einfach versuchen, mit Peking ins Gespräch zu kommen. Doch es stellt sich die Frage, ob China wirklich als neutraler Vermittler zwischen allen Seiten steht oder nicht doch zum Lager Moskaus gehört.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski sagt, China unterstütze die territoriale Integrität der Ukraine. Wie ordnen Sie diese Haltung Pekings ein?
Es ist ein Mantra Pekings, die chinesische Aussenpolitik beruhe auf dem «gegenseitigen Respekt der territorialen Integrität». Dabei geht es China vor allem um Taiwan, das in der Lesart Pekings Teil der Volksrepublik ist.
Mit dem Angriff auf die Ukraine machte Xis bester Freund und Alliierter, Putin, etwas, das der Haltung Pekings diametral widerspricht.
Diese Haltung wurde Ende Februar 2022, nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, plötzlich ein grosses Problem – denn Xis bester Freund und Alliierter, Putin, machte da etwas, das dieser Haltung diametral widerspricht. Aus diesem Widerspruch sind die Chinesen bis heute nicht herausgekommen.
Zuerst die diplomatischen Bemühungen Pekings im Nahost-Konflikt, jetzt zur Ukraine – kommt da nächstens noch mehr?
Das kann sein. Die Chinesen scheinen viel Wert auf den diplomatischen Schein zu legen, als aktiver Vermittler gesehen zu werden. Peking ist nach wie vor auf den Westen – die USA und Europa – angewiesen, etwa als Lieferant von Know-how und Handelspartner. Und sie haben gemerkt, dass die letzten zwei Jahre der «grenzenlosen Freundschaft» zwischen Xi Jinping und Wladimir Putin dem Ruf Chinas massiv geschadet hat.
Die Chinesen wollen der Tatsache offenbar entgegenarbeiten, dass es mit ihrem Ruf derart bergab geht.
So heisst es etwa in der Abschlusserklärung des letzten Nato-Treffens, man sehe China als «Enabler» des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine – also, dass Peking diesen mit seinen Lieferungen von Dual-Use-Gütern an die Russen überhaupt erst ermögliche. Das ist starker Tobak – und die Chinesen wollen der Tatsache offenbar entgegenarbeiten, dass es mit ihrem Ruf derart bergab geht.
Das Gespräch führte Daniel Hofer.