Täglich um 14 Uhr werden auf der Webseite der schwedischen Volksgesundheitsbehörde die neuesten Zahlen zur Coronakrise veröffentlicht. Zum gleichen Zeitpunkt tritt Anders Tegnell, Schwedens oberster Pandemiebekämpfer auf.
Der 64 Jahre alte Arzt, der die Behörde seit sieben Jahren leitet, mag es schnörkellos, mit einer Tasse kaltem Kaffee in der Hand, leicht verwuscheltem Haar.
97. Medienkonferenz dieses Jahr
Ganz unabhängig davon, ob er – wie zu Beginn der Pandemie Hiobsbotschaften von bis zu 130 Toten am Tag oder wie nun jüngst Erfolgsmeldungen über sehr wenige Neuansteckungen und kaum noch ernsthaft Erkrankte vermelden kann – bleibt Tegnell nüchtern.
«Schweden geht gegen den Trend in Europa, wo die Infektionszahlen in den letzten Tagen wieder stark gestiegen sind», erklärte er an der 97. Medienkonferenz in diesem Jahr.
Zwischen achtzig und neunzig Prozent der Leute geben an, dass sie unseren Ratschlägen und Empfehlungen Folge leisten.
Hinter ihm – und durch die grossen Fenster gut sichtbar – haben sich zwei Demonstranten mit selbst geschriebenen Plakaten auf einer Wiese positioniert. Sie demonstrieren nicht wie anderswo für eine Lockerung der Corona-Massnahmen, sondern für mehr Einschränkungen.
Gefordert wird die Schliessung der Schulen und eine Maskenpflicht. Mehr Protest ist hier – im Unterschied zu Grossbritannien, Frankreich, Deutschland oder auch der Schweiz – nicht.
Hohe Akzeptanz der Massnahmen
Darauf angesprochen zeigt sich Anders Tegnell wenig überrascht: «Nein, wir wissen aus Untersuchungen, dass das Vertrauen in unsere Behörde in der Bevölkerung sehr hoch ist. Zwischen achtzig und neunzig Prozent der Leute geben an, dass sie unseren Ratschlägen und Empfehlungen Folge leisten. Aus diesem Grund können wir auch keinen Backlash gegen die Corona-Massnahmen wie anderswo feststellen», betont Tegnell.
Anders als in vielen anderen Staaten, wo die politische Führung in der Pandemie das Zepter übernommen hat, ist diese Verantwortung in Schweden laut Verfassung bei der zuständigen Expertenbehörde angesiedelt und somit bei Tegnell selbst geblieben.
«Dieser Umgang hat sich über Jahrhunderte eingespielt und läuft darauf hinaus, dass wir uns in einer Krisensituation nicht plötzlich neu organisieren müssen und damit die Leute verwirren», betont Tegnell.
Kein Lockdown
Schwedens Corona-Politik, die bewusst auf einen Lockdown oder Grenzschliessungen verzichtete und stattdessen auf Massnahmen setzt, die langfristig angelegt sind, sorgte zunächst wegen der hohen Infektions- und Todeszahlen für viel Kritik.
Berechtigte Einwände, sagt Schwedens «Mister Corona» dazu: «Ich bin sehr stolz darauf, dass wir es geschafft haben, unsere Schulen geöffnet zu halten. Das hat sich bewährt. Auch das Gesundheitswesen hat sich gut den Erfordernissen der Pandemie angepasst.»
Versagt aber habe Schweden beim Schutz der Schwächsten in den Alters- und Pflegeheimen. «Dort haben wir es anfänglich nicht geschafft, das Virus aussen vorzuhalten. Deshalb sind in diesen Einrichtungen sehr viele Menschen gestorben».
Rockstar der Corona-Experten
Der etwas verschroben wirkende Chefbeamte tut sich mit seiner neuen Rolle als eine Art Rockstar unter den verantwortlichen Corona-Experten immer noch schwer, räumt er im Gespräch ein: «Ich bin gerne ein Experte, der die Entwicklung analysiert und Massnahmen gegen die Pandemie vorschlägt. Aber ich würde gerne darauf verzichten, jeden Tag auf allen Kanälen mit Gesicht und Stimme aufzutreten», betont Tegnell.