Seit Donnerstag ist die türkische Grenze zu Griechenland wieder zu. Der offizielle Grund: So soll die Verbreitung des Coronavirus eingedämmt werden.
Noch immer aber harren Flüchtlinge im Niemandsland aus. Rodothea Seralidou über die zunehmende Angst vor dem Virus in den überfüllten Camps.
SRF News: Wie erleichtert ist man, dass die Grenze wieder dicht ist?
Rodothea Seralidou: Die griechische Bevölkerung vor Ort ist erleichtert. Auch hier überschattet die Corona-Pandemie alle anderen Nachrichten.
Nur die festangestellten Mitarbeiter dürfen weiterhin das Lager betreten.
Die Bevölkerung hatte dementsprechend grosse Angst, dass die Flüchtlinge und Migranten das Coronavirus einschleppen und weiterverbreiten könnten. Griechenland hat bisher offiziell weniger als 500 Corona-Fälle.
Wie gross ist die Angst, dass sich das Virus in den überfüllten Lagern auf den Inseln verbreitet?
Das ist eine sehr realistische Befürchtung. Die griechische Regierung hat deshalb am Dienstag Schutzmassnahmen für die Lager angekündigt. Unter anderem soll nur noch eine Person pro Familie aus dem Lager heraus, um beispielsweise nötige Einkäufe zu erledigen.
Die Lager sollen umzäunt werden, was ich aber als eher unrealistisch einstufe. Es sollen in jedem Lager Isolierstationen eingerichtet werden und seit Dienstag dürfen auch keine ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer mehr ins Lager, weil sie das Virus ins Lager bringen könnten. Nur die festangestellten Mitarbeiter dürfen weiterhin das Lager betreten.
Gibt es noch genug solcher Festangestellter?
Sehr wenige und die Geflüchteten waren auch grösstenteils auf ehrenamtliche Helfer und Nichtregierungsorganisationen angewiesen. Es gab Organisationen, welche Sprachunterricht oder Musikunterricht erteilt haben oder welche die Geflüchteten medizinisch versorgt haben.
Im Camp leben etwa 7000 Kinder. Wie soll man da gewährleisten, dass diese nicht miteinander spielen?
Viele der festangestellten Mitarbeiter in den Camps haben sich beurlauben lassen, weil sie Angst bekommen haben. Sie fordern Schutzkleidung und Schutzmasken.
Ein grosses Problem sind die prekären hygienischen Bedingungen in den Lagern. Was bringen die Schutzmassnahmen?
Im Lager Moria gibt es einen einzigen Wasserhahn für über tausend Personen, tagelang herrscht Wassermangel und Seife müssen die Geflüchteten selbst kaufen. Es ist kalt, die Menschen leben überwiegend in Zelten, viele haben geschwächte Abwehrkräfte, werden krank oder haben chronische Erkrankungen – wären also Corona-Risikopatienten. Im Camp leben etwa 7000 Kinder. Wie soll man da gewährleisten, dass diese nicht miteinander spielen?
Die Hilfsorganisation «Ärzte ohne Grenzen» fordert, dass alle Flüchtlinge aufs Festland gebracht werden. Ist das realistisch?
Gäbe es den politischen Willen dazu, wäre es durchaus realistisch. Die aktuelle konservative Regierung beharrt aber darauf, die Geflüchteten während ihres Asylverfahrens auf den Inseln zu halten. Man könne im Rahmen des EU-Türkei-Deals Migranten, deren Asylantrag letzten Endes abgelehnt wird, nur dann zurück in die Türkei schicken, wenn sie sich bis dahin auf den Inseln befinden, heisst es.
Müsste man die Camps ganz dicht machen?
Das UNHCR hat ein solches Programm, etwa 25’000 Geflüchtete leben in Griechenland in Unterkünften, davon aber nur etwa 2000 auf den Inseln. Eine Entlastung der Camps könnte auf jeden Fall helfen. Die Menschen könnten sich besser schützen, hätten bessere Waschmöglichkeiten und müssten fürs Essen nicht mehr Schlange stehen. Je weniger Menschen, desto besser für den Kampf gegen das Coronavirus.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.