Die Türkei hat die Grenzen zu Griechenland und Bulgarien wieder geschlossen. Sie waren Ende Februar einseitig geöffnet worden, um die EU mit einem möglichen Flüchtlingsansturm unter Druck zu setzen. Ankara will mehr Hilfe aus der EU für syrische Flüchtlinge.
Erdogans Plan sei insofern aufgegangen, als dass die EU jetzt bereit für Verhandlungen sei, sagt Journalist Thomas Seibert.
SRF News: Was weiss man über die aktuelle Lage auf der türkischen Seite der Grenze zu Griechenland?
Thomas Seibert: Es sind dort mehrere Busse aufgetaucht, um die Flüchtlinge von der Grenze zurückzuholen. Allerdings harren einige Flüchtlinge weiter an der Grenze aus, weil sie immer noch daran glauben, dass sie irgendwie nach Griechenland gelangen können. Am Mittwoch war es zu mindestens zwei Zusammenstössen zwischen Flüchtlingen und den griechischen Grenztruppen gekommen. Der türkische Entscheid zur Grenzschliessung ist also noch nicht vollständig umgesetzt.
Die EU hat der Türkei weiteres Geld für die Versorgung der syrischen Flüchtlinge in der Türkei zugesagt.
Warum jetzt dieser Sinneswandel des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan?
Offiziell wird der Entscheid mit dem Coronavirus begründet, das sich auch in der Türkei immer mehr verbreitet und deshalb stark bekämpft wird. Doch der zeitliche Zusammenhang zu einer Videokonferenz Erdogans mit Angela Merkel, Emmanuel Macron und Boris Johnson am Tag zuvor ist offensichtlich. Merkel sagte nach dem virtuellen Treffen, die EU habe der Türkei weiteres Geld für die Versorgung der syrischen Flüchtlinge in der Türkei zugesagt.
Die EU hat stets klargemacht, dass sie nur zu Gesprächen über weitere Zahlungen bereit sei, wenn die Grenzen zuerst geschlossen werden. Hat dieser Druck also gewirkt?
Anscheinend. In vielen EU-Ländern war von einem Erpressungsversuch Ankaras die Rede und dass man unter diesen Umständen auf keinen Fall mit Erdogan verhandeln dürfe. Nach der Grenzschliessung durch die Türkei können die Verhandlungen über die künftigen Zahlungen der EU jetzt also beginnen.
Mit der Grenzschliessung brachte Erdogan Bewegung in die Angelegenheit.
Die EU ist also grundsätzlich dazu bereit, weiterhin für die Versorgung der Flüchtlinge in der Türkei zu bezahlen?
Auf jeden Fall. Allerdings müssen sich die Europäer vorwerfen lassen, die Forderung Erdogans nach einer Anschlussregelung des Flüchtlingsabkommens aus dem Jahr 2016 lange ignoriert zu haben. Die damals von der EU zugesagten sechs Milliarden Euro Hilfe sind inzwischen entweder ausbezahlt oder an konkrete Projekte gebunden. Die Türkei wollte deshalb dringend wissen, wie es weitergeht. Mit der Grenzschliessung brachte Erdogan nun Bewegung in die Angelegenheit.
Derzeit sollen sich noch rund 2000 Flüchtlinge an der Grenze befinden.
Was geschieht jetzt mit den Tausenden von Flüchtlingen und Migranten, die an der griechischen Grenze ausgeharrt haben?
Viele von ihnen kommen aus Afghanistan. Sie haben in der Türkei keinerlei Schutz und müssen damit rechnen, von den Behörden zurückgeschafft zu werden. Sie haben also nichts zu verlieren, deshalb strömten sie zu Tausenden an die Grenze, nachdem Ankara die Öffnung verordnet hatte. Die Rede ist von rund 2000 Menschen, die sich derzeit noch an der Grenze aufhalten sollen.
Ist die türkisch-europäische Flüchtlingskrise jetzt also zumindest politisch erst einmal beigelegt?
Sie ist zumindest entschärft – aber die inhaltlichen Auseinandersetzungen gehen weiter. Es ist völlig offen, wie viel Geld die EU der Türkei bezahlen will. Ankara verlangt zudem politische Zugeständnisse wie etwa die Visafreiheit in Europa für ihre Bürgerinnen und Bürger. Diese Fragen sind nach wie vor ungeklärt.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.