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Das kalabrische Gesundheitswesen und die Mafia
Aus Echo der Zeit vom 23.11.2020. Bild: Keystone
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Coronavirus in Kalabrien Die Mafia kontrolliert den Atem, den Herzschlag – und Corona

In der Mafia-Hochburg herrscht ein strenger Shutdown. Nicht wegen hoher Fallzahlen, sondern wegen der maroden Spitäler.

Nicola Gratteri ist Staatsanwalt und Mafia-Jäger in Catanzaro, der Hauptstadt Kalabriens. Die lokale Mafia, die mächtige 'Ndrangheta, kontrolliere wie er wörtlich sagt, «den Atem und den Herzschlag ganzer Gegenden». Und damit auch deren Gesundheitswesen.

Staatsanwalt Gratteri nennt ein Beispiel: Es gebe Fälle, in denen Spitäler die Rechnungen von Lieferanten drei- oder gar viermal bezahlt hätten. An Lieferanten, die von der Mafia kontrolliert würden.

Marodes Gesundheitswesen

Ähnliches schreibt Roberto Saviano, der seit Jahren über die Mafia publiziert und deswegen rund um die Uhr unter Polizeischutz steht. Saviano stellt fest: Im kalabrischen Gesundheitswesen gebe es weiterhin Lieferaufträge, die nur mündlich vereinbart würden, ohne eine offizielle, schriftliche Rechnung. Nutzniesserin auch hier: die 'Ndrangheta.

Ausgestorbene Innenstadt in Turin
Legende: Im Kampf gegen Corona hat Italiens Regierung das ganze Land in drei Farben eingeteilt: gelb, orange, rot. In den roten Zonen herrscht ein strenger Shutdown. (im Bild: Ausgestorbene Innenstadt in Turin). Keystone

All das weiss man schon lange. Genau darum wird das kalabrische Gesundheitswesen bereits seit zehn Jahren nicht mehr von der regionalen Regierung in Catanzaro verwaltet, sondern von der Zentralregierung in Rom, durch einen von ihr entsandten Kommissar.

Nur: Auch diese Kommissare haben die Lage nicht verbessert. Sie haben vor allem eines getan: gespart. Sie haben versucht, den riesigen Schuldenberg zu tilgen, den die mafiöse Unterwanderung hinterlassen hat. Doch auch in diesem zusammengesparten Gesundheitswesen sei die Mafia weiter präsent, analysiert Saviano.

Italien-Karte mit Herkunftsregionen der Mafia-Gruppierungen

Und Gratteri, der Staatsanwalt, sagt, er wisse, wen man nach Kalabrien schicken müsste – als Kommissar. Der Kommissar müsse einen deutschen Nachnamen haben und aus Norditalien, zum Beispiel aus Pordenone kommen, sagt der Staatsanwalt aus dem kalabrischen Catanzaro. Was wie ein Scherz klingt, meint Gratteri durchaus ernst.

Am Eingang des kalabrischen Regionaparlaments hängt ein Schild. Darauf steht: «Die 'Ndrangheta bleibt draussen» – ein frommer Wunsch. Eben erst wurde der Präsident dieses Parlaments, ein Politiker von Berlusconis Forza Italia, unter Hausarrest gestellt. Der Verdacht: Er habe mit der Mafia zusammengearbeitet und der 'Ndrangheta Aufträge im Gesundheitswesen zugeschanzt. Im Gegenzug hätten die Mafiosi versprochen, ihm bei der nächsten Wahl Stimmen zuzuhalten.

Vertrauen in Staat erodiert

Leidtragende dieses Filzes aus mafiöser Unterwanderung und staatlicher Misswirtschaft sind die Patientinnen und Patienten. Die Lebenserwartung in Kalabrien gehört zu den tiefsten im ganzen Land. Jedes Jahr lassen sich zehntausende Kalabrierinnen und Kalabrier in privaten Spitälern Norditaliens behandeln. Und geben dafür Millionen aus, verschulden sich gar. Das Vertrauen in den Staat droht gänzlich zu erodieren.

Und nun, in Zeiten von Corona, zahlt Kalabrien nochmals einen hohen Preis. Viele Läden sind geschlossen. Auch Restaurants, Bars. Vielen Betrieben droht der Ruin. Nicht, weil sich in Kalabrien besonders viele Leute angesteckt hätten, sondern als vorsorgliche Massnahme, weil alle wissen: Einen wirklichen Härtetest würden diese Spitäler nie bestehen.

Echo der Zeit vom 23.11.2020, 18 Uhr

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