Bisher lebte sie das Leben einer «normalen» Aktivistin. Carola Rackete, 31, aus Niedersachsen im Norden Deutschlands, studierte Nautik und Umweltschutz-Management und war für Greenpeace auf den Weltmeeren unterwegs, bevor sie als Flüchtlingshelferin zu Sea Watch stiess. Als sie und ihre aktuelle Crew bereits vor Wochen darum baten, mit einigen Dutzend Flüchtlingen in Italien an Land gehen zu können, krähte kein Hahn danach. Journalisten, die die Reise begleiteten, wurden ihre Geschichte nicht los.
Erst seit letztem Wochenende sind die Scheinwerfer auf die junge Frau gerichtet. Plötzlich ist sie zur weltweiten Symbolfigur eines Kampfes geworden, der sich gegen die Flüchtlingspolitik nicht nur Italiens, sondern der gesamten EU auflehnt.
Entscheid mehrmals verschoben
Es bedurfte einer Verhaftung vor laufender Kameras und einer Androhung von bis zu zehn Jahren Haft, um die Widersprüchlichkeit zu verdeutlichen.Als die Stimmung zu kippen drohte, als mehrere «Passagiere» darüber nachdachten, über Bord zu gehen oder sich etwas anzutun, entschied sie – gegen den Willen Italiens – in den Hafen von Lampedusa einzulaufen. Weil es «das Richtige» sei.
Mehrmals habe sie die Entscheidung verschoben, tagelang, wochenlang zugewartet und juristische Möglichkeiten durch ihre Organisation ausschöpfen lassen. Das internationale Seenotrecht unterstützt sie. Demnach sind in Seenot Geratene zu bergen und in einen «sicheren Hafen» zu bringen. Jeder, der Libyen oder Tunesien als solche bezeichnet, verkennt die Realität.
Schlaglicht auf ungelöste Frage
An Carola Rackete manifestiert sich die Unfähigkeit der Politik, in der Flüchtlingsfrage eine Lösung zu finden. Gerechte Verteilquoten gibt es seit Jahren nicht, stattdessen wurde Italien allein gelassen und «das Problem» an den Unrechtsstaat Libyen delegiert, wo nun – glaubt man den Worten unzähliger Augenzeugen – Sklaverei, Ausbeutung, Folter und Menschenhandel florieren. Und weiterhin ertrinken viele bei ihrer Flucht im Mittelmeer.
Jene in Europa, die sich damit nicht abfinden wollen, scheinen ohnmächtig. Carola Rackete widersetzt sich stellvertretend für alle zu Hause Gebliebenen und wirft ein Schlaglicht auf die ungelöste Frage. Wenn sich nun deutsche Spitzenpolitiker öffentlich für sie einsetzen, offenbart das aber auch eine Doppelmoral. Es sollte nicht Aufgabe der Zivilgesellschaft sein, politische Missstände auszubügeln, schon gar nicht unter Einsatz ihrer eigenen (juristischen) Unversehrtheit.