Als Donald Trump Präsident der USA war, stritt er sich mit seinen europäischen Kolleginnen und Kollegen um den richtigen Kurs gegenüber dem Iran. Das Atomabkommen bezeichnete er als den «schlechtesten Deal aller Zeiten». Stattdessen forderte er «maximalen Druck» gegen das Mullah-Regime in Teheran.
Sein Nachfolger Joe Biden kündigte zwar an, zum Atomabkommen zurückkehren zu wollen, doch daraus wurde bisher nichts – auch wegen Bidens eigener Vorbehalte. Die EU hatte den Abschluss des Abkommens 2015 als diplomatisches Meisterstück gefeiert; auch Grossbritannien und Russland standen dahinter. Der Iran sollte auf den Bau von Atomwaffen verzichten und dafür mit dem Abbau von Sanktionen belohnt werden.
Offiziell ist die Rückkehr zum Atomabkommen zwar noch immer ein Ziel der EU; doch auch hier bahnt sich ein Kurswechsel an. Verbunden mit der Hoffnung, dass der Iran vom Gegenspieler zum Verbündeten werden könnte.
EU-Sanktionen gegen iranische Sittenpolizei
Am Montag hat die EU Sanktionen gegen die iranische Sittenpolizei und mehr als ein Dutzend weitere Personen und Organisationen verhängt. Damit reagiert sie auf die blutige Niederschlagung der Frauenproteste gegen den Kopftuchzwang im Iran. Das Wirtschaftsdepartement von Bundesrat Guy Parmelin prüft die Übernahme der neuesten Iran-Sanktionen auch durch die Schweiz.
Saskia Esken, die Chefin der deutschen Regierungspartei SPD, fordert gar ein Ende der Verhandlungen des Atomabkommens: «So wie gerade gegen die Frauen und Männer auf der Strasse vorgegangen wird, müssen die Gespräche enden.»
Derweil bereitet die EU bereits die nächsten Sanktionen vor. Damit würde sie die iranische Regierung für den Verkauf von Kampfdrohnen an Russland und deren mutmasslicher Einsatz im Ukraine-Krieg bestrafen. Zuerst aber will die EU klären, ob die ukrainischen Vorwürfe zutreffen.
Kurswechsel des Westens setzt auf Hoffnung
Dass neue Sanktionen die Mullahs zum Sinneswandel bewegen, kann ausgeschlossen werden – erst recht, wenn man bedenkt, dass der Iran seit Jahrzehnten mit amerikanischen Sanktionen leben gelernt hat. Gleichwohl sind die jüngsten Beschlüsse und Verlautbarungen aufschlussreich.
Europäische Politikerinnen und Politiker haben die Menschenrechtsverletzungen in der Islamischen Republik zwar regelmässig kritisiert, mochten den Gesprächsfaden mit den Machthabern in Teheran aber nie abreissen lassen. Zumal der Iran seit der islamischen Revolution von 1979 zu den einflussreichsten Staaten im Nahen und Mittleren Osten gehört. Und sich selbst als Gegenspieler der USA immer mehr unter den Einfluss Russlands und Chinas begeben hat.
Der sich anbahnende Kurswechsel des Westens setzt folglich auf eine stille Hoffnung: dass die Proteste der iranischen Frauen einen Kurswechsel im Innern erzwingen könnten; dass nach der islamischen eine säkulare Revolution iranische Geschichte schreiben könnte. Damit fiele nicht bloss der Kopftuchzwang – der Nahe und Mittlere Osten stünde vor einer machtpolitischen Zeitenwende, die auch dem Westen ganz neue Perspektiven eröffnen könnte.