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Deutschem droht Höchststrafe «Nie zuvor wurde in Belarus ein Westeuropäer zum Tode verurteilt»

Ein 30-jähriger Deutscher ist in Belarus zum Tode verurteilt worden. Das Aussenministerium in Minsk bestätigte einen entsprechenden Bericht der belarussischen Menschen­rechts­organisation «Wjasna». Den Angaben der Organisation zufolge wird dem Deutschen unter anderen Söldnertum, Spionage und Terrorismus vorgeworfen. Russland-Korrespondent Calum MacKenzie erklärt, was bisher zu dem Verfahren bekannt ist und wie es weitergehen könnte.

Calum MacKenzie

Russland-Korrespondent

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Calum MacKenzie ist Russland-Korrespondent von Radio SRF. Er hat in Bern, Zürich und Moskau Osteuropa-Studien studiert.

Wie kommt die belarussische Staatsanwaltschaft zu diesen Anschuldigungen?

Weil das belarussische Justizsystem so undurchsichtig ist, sind die Hintergründe des Falls schwammig. Ursprünglich war der Mann wegen «Söldnertätigkeit» angeklagt worden. Vonseiten der Menschen­rechts­organisation «Wjasna» hiess es, er habe Verbindungen zu dem «Kalinouski-Regiment», einem belarussischen Freiwilligen-Kampfverband, der aufseiten der Ukraine gegen Russland kämpft. Das Regiment dementierte das. Gemäss den sozialen Medien des Mannes arbeitete er als Sanitäter beim Roten Kreuz. Es war eher eine lange Haftstrafe erwartet worden, aber offenbar wurde ihm auch eine Art Terrorakt vorgeworfen. Es ist nicht bekannt, worum es sich dabei handeln soll.

Belarus ist das letzte europäische Land, das die Todesstrafe kennt. Wie aussergewöhnlich ist dieser Fall?

Laut Amnesty International wurden in Belarus seit der Unabhängigkeit 1991 bis zu 400 Männer hingerichtet, für Frauen ist die Todesstrafe nicht vorgesehen. Jedoch ist noch nie zuvor ein westeuropäischer Staatsbürger in Belarus zum Tode verurteilt worden. Es ist auch das erste Mal, dass jemand in Belarus wegen «Söldnertätigkeit» verurteilt wurde. Im Zuge der Repression seit den Massenprotesten gegen Lukaschenko 2020 wurde der Anwendungsbereich der Todesstrafe ausgeweitet, etwa auch auf den Tatbestand «Landesverrat». Faktisch bedeutet das, dass in Belarus Andersdenkende wegen ihrer politischen Aktivität hingerichtet werden können, auch wenn es bislang keinen solchen Fall gegeben hat.

Wie läuft die Todesstrafe in Belarus ab?

Die zum Tode verurteilten Männer leben laut Aktivisten in Isolationshaft unter sehr strengen Bedingungen. Weder ihnen noch ihren Angehörigen wird mitgeteilt, wann das Urteil vollstreckt wird. Sie werden eines Tages aus ihrer Zelle geholt, und es wird ihnen mitgeteilt, dass sie nicht mehr vom Präsidenten begnadigt werden. Dann werden sie mit einem Genickschuss getötet. Die Angehörigen erfahren erst Wochen später, dass ihr Familienmitglied nicht mehr lebt.

Nun sollen die Regierungen von Belarus und Deutschland miteinander verhandeln. Ist das Todesurteil noch nicht definitiv?

Die Möglichkeit besteht, dass der Verurteilte von Präsident Lukaschenko begnadigt wird. Das passiert nur selten, aber Belarus hat bereits mitgeteilt, man habe Deutschland gewisse «Varianten» vorgeschlagen, wie sich die Situation entwickeln könnte. Man kann hier von belarussischen Forderungen sprechen, und der verurteilte Deutsche gilt als Pfand. Es ist unklar, was Belarus von Deutschland fordern könnte. Aber am selben Tag, als das Urteil gegen den Mann bekannt wurde, wurde in Russland der amerikanische Journalist Evan Gershkovich zu 16 Jahren Haft verurteilt. Gershkovich gilt auch als Geisel, Russland will ihn gegen einen in Deutschland inhaftierten russische Agenten freitauschen. Man darf spekulieren, dass Belarus quasi für Russland Druck auf Deutschland ausübt. Aber das ist vorerst nur Spekulation, wir werden sehen, wie es in diesem Fall weitergeht.

HeuteMorgen, 22.07.2024, 08:00 Uhr ; 

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