Vor der deutschen Bundestagswahl am Sonntag wird nicht nur über Parteiprogramme oder Ansichten der Kandidierenden diskutiert, sondern auch über ihr Aussehen. So wurde Friedrich Merz in einer TV-Debatte bei RTL gefragt, ob es ihn ärgere, dass Olaf Scholz bei jungen Frauen besser ankomme als er, was der CDU-Chef verneinte. Welche Rolle Attraktivität bei Wahlen spielt, weiss Politikwissenschaftler Sebastien Jäckle.
SRF News: Welche Rolle spielt die Attraktivität einer Kandidatin, eines Kandidaten bei Wahlen?
Sebastian Jäckle: Zuerst muss man zwischen eher unbekannten Kandidatinnen und Spitzenkandidaten unterscheiden. Bei den weniger bekannten Kandidierenden, die mal auf einem Wahlplakat zu sehen sind, spielt die Attraktivität eine relativ grosse Rolle. Forschungen von mir und von Kollegen zeigen, dass das einen Unterschied von bis zu fünf Prozentpunkten ausmachen kann. Bei den Spitzenkandidatinnen haben Wähler hingegen die Möglichkeit, auf andere Dinge zurückzugreifen. Da spielt die Attraktivität weniger eine Rolle.
Könnte das auch am Sonntag bei der deutschen Bundestagswahl eine Rolle spielen?
Bei der Bundestagswahl würde ich sagen, dass die Kandidatinnen und Kandidaten bei allen Wählerinnen und Wählern so bekannt sind, dass man direktere Einschätzungsmöglichkeiten hat als die Attraktivität. Nun kann man die Frage stellen, wie diese Spitzenkandidatinnen und -kandidaten innerhalb der Parteien auf diese Positionen gekommen sind und ob da die Attraktivität eine Rolle gespielt hat.
Personen, die häufiger als attraktiv empfunden wurden, hatten auch bessere Chancen, gewählt zu werden.
Wen man als attraktiv wahrnimmt und wen nicht, ist subjektiv – wie wird das in der Forschung gemessen?
Wir haben sowohl eine Onlineumfrage in den USA für die Wahlen im Repräsentantenhaus als auch für die deutsche Bundestagswahl durchgeführt. Dabei haben wir die Kandidaten genommen, die die besten Chancen hatten, einen Wahlkreis zu gewinnen. Die Befragten sollten angeben, welche Person attraktiver, sympathischer und kompetenter ist. Es zeigte sich, dass diejenigen Personen, die häufiger als attraktiv empfunden wurden, auch bessere Chancen hatten, gewählt zu werden.
Hat sich dabei abgezeichnet, was als attraktiv wahrgenommen wird und was nicht?
Ja, zum einen die Jugendlichkeit. Menschen, die jünger und sportlicher aussehen, wirken attraktiver. Bei Frauen lassen längere Haare sie deutlich attraktiver erscheinen als Kurzhaarfrisuren. Bei Männern wird eine Glatze als extrem unattraktiv empfunden. Es hat sich auch gezeigt, dass stark geschminkte Frauen für nicht so attraktiv erachtet wurden, wie Frauen, die eher natürlich geschminkt waren.
Verhalten sich attraktive Politiker und Politikerinnen anders als solche, die als weniger attraktiv wahrgenommen werden?
Ich nehme jetzt mal die beiden Kanzlerkandidaten Scholz und Merz, die nicht unbedingt dem klassischen Schönheitsideal entsprechen. Die beiden würden sicherlich nicht versuchen, ihre Bilder so zu stylen, dass sie auf attraktiv getrimmt werden. Bei Habeck sieht das vielleicht ein bisschen anders aus. Er versucht schon eher, auch über dieses Image des durchaus attraktiven, eher jüngeren Mannes zu punkten.
Bei Spitzenkandidaten können wir auf viel mehr zurückgreifen als nur auf die Attraktivität.
Aus rein wissenschaftlicher Sicht hätte also Habeck in Sachen Attraktivität am Sonntag die Nase vorn.
Das würde ich so sagen. Doch wie gesagt, dürfte bei Spitzenkandidatinnen und -kandidaten dieser äussere Faktor nicht eine grosse Rolle spielen. Bei ihnen, wissen wir, wie sie sich verhalten und was sie sagen. Da können wir auf viel mehr zurückgreifen als nur auf die Attraktivität.
Das Gespräch führte Lea Saager.