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Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck: Mal Liebling, mal Buhmann der Nation

Kaum jemand polarisiert so stark wie der Wirtschaftsminister und Vizekanzler, der aus dem flachen Norden kommt.

«Ich bin ein Draussenminister», sagte Robert Habeck 2016. Man kannte den Landwirtschaftsminister von Schleswig-Holstein in Gummistiefeln bei Bauern und Fischern an der Nordseeküste. Dass der Grüne dort einen alten Streit zwischen Muschelfischern und Umweltschützern beilegen konnte, brachte ihm viel Respekt ein.

Beim Regierungspartner CDU war man angetan vom pragmatischen Realo. Der hatte für Geld auch ‘mal mit Schadstoffen belasteten Schlick aus dem Hamburger Hafen vor die Nordseeküste verkappen lassen.

Vom Schriftsteller zum Berufspolitiker

Weshalb der Philosoph und Schriftsteller in die Politik ging, wollte das Videoformat «jung und naiv» wissen. Der Vater von vier Jungs antwortete: «Fairness im Umgang miteinander, dass die Leute möglichst selbstbestimmt ihr Ding machen können und dass es Spielregeln gibt, die grösser sind als das eigene kleine Leben.»

Mutmassliche Plagiatsaffäre von Habeck – Uni Hamburg entlastet

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Zwei Wochen vor der Bundestagswahl wirft der umstrittene Plagiatsjäger Stefan Weber aus Österreich Robert Habeck vor, in seiner Dissertation plagiiert zu haben. Weber will 128 «Quellen-, Zitats- und Textplagiate» gefunden haben, wie der «Spiegel» berichtete.

Noch vor der Veröffentlichung der Vorwürfe postete Habeck am Montag ein Video auf Social Media, in dem er auf die Vorwürfe eingeht. Der promovierte Germanist wisse, dass Weber sich seit Jahren mit seiner Doktorarbeit beschäftige. Er gehe davon aus, dass diese Vorwürfe am Montag veröffentlicht würden, weshalb er nun Stellung beziehe. «Ich kenne die Vorwürfe – und konnte sie vorab prüfen lassen», heisst es im Post.

Die Universität Hamburg, bei der Habeck seine literaturwissenschaftliche Doktorarbeit im Jahr 2000 eingereicht hatte, hat einige von Webers Vorwürfen bereits untersucht. Die Hochschule sehe «kein wissenschaftliches Fehlverhalten», wie sie auf Anfrage der Zeitung mitteilte. Man habe lediglich «Empfehlungen zur Überarbeitung einzelner Zitate und Fussnoten der Dissertation» ausgesprochen.

Habeck selbst räumte in seiner Stellungnahme ein, dass es Ungenauigkeiten in den Fussnoten gebe. Er werde sich um die empfohlene Überarbeitung kümmern.

Mitten im Bundestagswahlkampf 2021 hatte Weber bereits der damaligen Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, vorgeworfen, plagiiert zu haben. Sie entschied, ihr Buch nicht mehr zu drucken. 2021 trat die damalige österreichische ÖVP-Arbeitsministerin zurück, nachdem Weber ein Plagiatsgutachten veröffentlicht hatte.

2018 wechselte Habeck nach Berlin – übernahm mit Annalena Baerbock die Doppelspitze von Bündnis 90/die Grünen: Sie setzten den berüchtigten Flügelkämpfen zwischen Realos und Linken ein Ende. Für die Kanzlerkandidatur musste er der Frau den Vortritt lassen, was ihn nach eigenen Aussagen extrem geschmerzt hat.

Erst Liebling, dann Absturz

Als Wirtschaftsminister hatte er in der Ampelregierung einen steilen Einstieg: Habeck sicherte die Energieversorgung, als Putin das Gas abstellte. «Deutschland hat einen neuen Liebling», schrieb die konservative FAZ.

Soziologin Andrea Wolf sagte im ZDF zu Habecks Auftreten, man könne «von einem parteiübergreifenden Ansehen sprechen».

Habeck am Rednerpult bei einer Veranstaltung der Grünen.
Legende: Habeck am Parteitag der Grünen im Januar 2025 in Berlin. SRF

Habecks pragmatischer Kurs verlangte aber seiner Partei viel ab, denn er liess Kohlekraftwerke laufen, Flüssiggasterminals bauen und forcierte Waffenlieferungen. «Die Verantwortung um jeden Preis wollen», das sei, was die Grünen bräuchten, warb Habeck.

Sündenfall Heizungsgesetz

Das Heizungsgesetz im Frühling ’23 wurde zum Sündenfall. Es wurde wohl aus der Ampelregierung unfertig an die Medien geleakt. Die Pflicht für klimafreundliche Heizungen war schlecht kommuniziert und unsozial, ein Fehler, wie Habeck selbst sagte. Die Medien bespielten das Thema als «Habecks Heizhammer», der die Gesellschaft in die Armut treibe.  

Von da an schlägt den Grünen Feindseligkeit entgegen. Habeck passieren Fehler beim Erklären wirtschaftlicher Zusammenhänge und eigener Ideen.

Doch der Vizekanzler profitiert von der Lücke, die Kanzlerin Merkel hinterlassen hat: Als einziger trifft er die Tonlage beim schrecklichen Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023.

«Habeckisierung der Sprache»

Habeck bemüht sich um Nähe, baut in seine Reden die eigenen Zweifel ein. «Habeckisierung der Sprache» nennt das Politologin Astrid Séville von der Uni Lüneburg. Das komme sehr demokratisch daher, sei aber auch autoritär. «Man immunisiert sich gegen Kritik, ich habe die Zweifel ja schon gesehen, bevor sie der andere formulieren kann.»

Die Selbstreflexivität adressiere sich ans eigene intellektuelle Publikum. Aber Habeck polarisiere, provoziere sogar Aggression. Die Kritiker sagten, «das sei arrogant, abgehoben, zu weich». Das liege wohl auch daran, dass «jemand wie Habeck sehr bewusst signalisiert, klug zu sein, die Herausforderung verstanden zu haben, auf Augenhöhe kommunizieren zu wollen».

Er wünschte sich nichts mehr, als als Kanzler Deutschland zu dienen, sagte Habeck einst. Es sieht nicht so aus, als ob sein Wunsch in Erfüllung geht.

Wahlplakat von Habeck für die Kanzlerwahl.
Legende: Wahlwerbung Habeck für die Kanzlerkandidatur. SRF

Wahlen in Deutschland 2025

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Legende: KEYSTONE/DPA/Anna Ross)

Deutschland soll am 23. Februar 2025 einen neuen Bundestag wählen. Anschliessend wird eine neue Regierung ernannt. Alle News und Hintergründe zu den Wahlen in Deutschland finden Sie hier.

Echo der Zeit, 10.02.2025, 18:00 Uhr

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