Nochmals Scholz, oder nicht? In Deutschland bewegte die SPD in den letzten Tagen die Frage, mit wem sie als Kanzlerkandidaten antreten soll. Aller Voraussicht nach wird der Parteivorstand heute Olaf Scholz nominieren. Bei der Basis beliebter wäre zwar der amtierende Verteidigungsminister Boris Pistorius. Der hat sich letzte Woche aber zurückgezogen. Claudia Kade ordnet ein.
SRF News: Wäre Pistorius wirklich der chancenreichste SPD-Kandidat gewesen?
Claudia Kade: Ich bin skeptisch. Pistorius liegt zwar in allen Umfragen an der Spitze. Er ist beliebter als Bundeskanzler Scholz und auch beliebter als die Kandidaten der anderen Parteien, die zur Neuwahl im Februar antreten. Aber er ist vor allem eine Projektionsfläche. Es herrscht eine Diskrepanz zwischen dem, was Pistorius als harte Politik geleistet hat, und dem, was man sich von ihm versprochen hat.
Pistorius wird vielleicht eine herausgehobene Rolle im Wahlkampf zugewiesen bekommen, um seine Anhänger zu motivieren, in den Wahlkampf zu ziehen.
Der Weg für Scholz ist frei. Wird die Sitzung des Parteivorstandes also «wie in Butter» gehen?
Dass seine Nominierung noch einmal infrage gestellt wird, ist nicht zu erwarten. Aber der Parteivorstand wird schon einiges zu besprechen haben. Denn die Bewegung in der Partei, Pistorius doch noch zum Kandidaten zu machen, war stark. Das kann man nicht einfach wegwischen. Man braucht ja gerade die Basis, von der diese Bewegung ausging, für den Wahlkampf. Das sind die Leute, die mobilisieren sollen. Man wird sich heute also überlegen, wie man diese gespaltene Partei wieder zusammenführen kann, damit es im Wahlkampf möglichst geschlossen zugeht.
Ist das überhaupt möglich?
Die Parteiführung hat versprochen, dass man einen neuen Scholz erleben wird. Was auch immer das bedeuten mag. Es wird wahrscheinlich auch darauf hinauslaufen, dass Pistorius vielleicht eine herausgehobene Rolle in diesem Wahlkampf zugewiesen bekommt, damit man ihn einbindet und so auch seine Anhänger motiviert, in den Wahlkampf zu ziehen.
Die SPD-Spitze setzt darauf, dass die Konkurrenz Fehler macht.
Ein neuer Scholz. Was muss man sich darunter vorstellen?
Das fragt man sich hier auch. Eigentlich glaubt daran kaum jemand. Scholz ist einfach, wie er ist. Seine Ampelregierung ist eine der unbeliebtesten Regierungen der Bundesrepublik. Das färbt auf Scholz ab. Er hat es in den vergangenen Jahren ja auch nicht geschafft, einen Imagewandel hinzubekommen. Deswegen bin ich sehr skeptisch. Und viele Parteifreundinnen und Parteifreunde von ihm auch. Dass jetzt plötzlich auf den letzten Metern bis zur Wahl noch eine ganz grosse Imagekorrektur stattfinden kann, das ist eher der Versuch der Parteispitze, irgendwie noch das Minimum an Geschlossenheit zu schaffen. Beziehungsweise noch irgendwie ein Überraschungsmoment aufrechtzuerhalten.
Scholz hat aus heutiger Sicht geringe Chancen, wiedergewählt zu werden. Was könnte der SPD im Wahlkampf doch noch in die Hände spielen?
Die SPD-Spitze setzt darauf, dass die Konkurrenz Fehler macht. Also Friedrich Merz, der CDU-Vorsitzende und Kandidat der Unionsparteien der Konservativen. Er tritt gerne mal ins Fettnäpfchen. Bei der Union sind Sie ganz froh, dass der Wahlkampf relativ kurz sein wird. Sie ist immer noch traumatisiert vom Bundestagswahlkampf 2021, als ihr Kanzlerkandidat beim Hochwasser erwischt wurde, wie er hämisch lachte. Das hat den ganzen Wahlkampf zerstört. Das hat die Union immer noch im Hinterkopf und macht sich Sorgen, dass Friedrich Merz womöglich noch ähnliche Fehler unterlaufen. Und das wäre dann wiederum die Stunde des Olaf Scholz. Der ist, bei aller Unbeliebtheit, ein so besonnener Politprofi, dass ihm solche Fehler bislang nicht unterlaufen sind.