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Russland: Reportage aus einem Moskauer Wahllokal
Aus Info 3 vom 17.03.2024. Bild: AP PHOTO/DMITRI LOVETSKY
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Die Lage in Moskau Putins Wahlen – im Kleinen zeigt sich der Widerstand

Wladimir Putins Erdrutschsieg ist sicher. In einem Moskauer Wahllokal zeigt sich aber: Es gibt viele kritische Stimmen.

Die letzten Wahllokale haben in Russland um 18 Uhr MEZ geschlossen. Damit enden die dreitägigen Präsidentschaftswahlen. Definitive Resultate gibt es noch keine, doch bereits jetzt ist klar, wer als deutlicher Sieger hervorgehen wird: Wladimir Putin.

Die Wahlen waren weder frei noch fair. Kritiker sind in Russland kaltgestellt, auch Putins Gegenkandidaten sind dem Kreml treu. Trotzdem wollte sich die Opposition gegen Krieg und gegen das Regime wieder bemerkbar machen.

Zu Besuch im Wahllokal 54

Am Komsomoskaja-Platz in Moskau gibt es gleich drei Bahnhöfe sowie das Kulturhaus der Eisenbahner. Im marmorverkleideten Inneren des Kulturhauses befindet sich das Wahllokal Nummer 54.

Um 11 Uhr morgens stehen die Urnen, die Wahlmaschinen, Wahlhelferinnen sowie einige schwer bewaffnete Polizisten bereit. Bloss fehlt das Wahlvolk. Bis auf ein paar Betagte schaut niemand im Kulturhaus vorbei.

Ältere Menschen gehören in der Regel zu Putins Wählerschaft. Doch man spürt keine Begeisterung für den Bisherigen. Eine richtige Auswahl an Kandidaten gebe es nicht, sagt der 77-jährige Lew. Er habe den Kommunisten gewählt. Lew wünscht sich Frieden und Freundschaft mit allen Völkern.

Vera, 75, hat Putin gewählt. «Unser Präsident ist der fähigste Kandidat», sagt sie. Darauf angesprochen, was sie sich von seiner nächsten Amtszeit erhoffe, sagt sie: «Ich will Frieden.»

Viele Menschen in Russland glauben, Putin werde gegen die Ukraine einen schnellen Sieg erreichen. Doch überzeugt, dass die Ziele der sogenannten Spezialoperation um jeden Preis erfüllt werden müssten, sind bei weitem nicht alle.

Erwarteter Erdrutschsieg für Putin

Box aufklappen Box zuklappen

In Russland selbst sowie in mehreren europäischen Grossstädten kam es am Sonntag zu Protestaktionen rund um die Präsidentschaftswahl.

Es ist schwer abzuschätzen, wie viele Leute an dieser Aktion teilgenommen haben. Vor den russischen Wahllokalen waren es pro Aktion sicher mindestens ein paar Dutzend. Vor dem Wahllokal 54 in Moskau schätzt der Reporter die Gesamtzahl auf etwa 150 Personen. Es hat in ganz Russland auch über 75 Festnahmen gegeben.

Vor den Wahlen hatten die Behörden zumindest in Moskau kommuniziert, dass Teilnehmer und Teilnehmerinnen an unbewilligten Versammlungen sofort verhaftet würden. Das hat womöglich einige abgeschreckt. Ausserdem dürften viele Leute die Wahlen einfach komplett boykottiert haben.

Die Aktion wird aber nichts daran ändern, dass Wladimir Putin einen Erdrutschsieg feiern wird. In Russland geniesst Putin breite Unterstützung, auch wenn viele Menschen kriegsmüde sind. Viele Staatsangestellte wurden dazu ermutigt bis gezwungen, an die Urne zu gehen und Putin zu wählen.

Und vor allem mit der Hilfe der elektronischen Wahlmaschinen, die dieses Jahr zum ersten Mal an einer Präsidentschaftswahl eingesetzt wurden, können die Behörden das Resultat fast beliebig korrigieren. Und dafür gab es bei Lokalwahlen in der Vergangenheit schon Präzedenzfälle.
(Calum MacKenzie)

Der Leiter des Wahllokals heisst Afanasij Roschtschin. Ungefragt versichert er, dass hier alles mit rechten Dingen zugehe. «Selbst wenn der Präsident hierherkäme und mir sagen würde, wie ich meine Arbeit zu tun hätte, ich würde nicht auf ihn hören», sagt er. Sein einziger Chef sei das Gesetz.

Hoffnung auf eine andere Zukunft

Am Mittag kommt plötzlich Betrieb in das Wahllokal, es erscheinen auch viele junge Leute. Die Opposition hatte dazu aufgerufen, als Zeichen des Protests am Mittag wählen zu gehen, wenn man gegen Putin ist. Es entsteht eine Warteschlange vor dem Kulturhaus. «Es ist ermutigend, alle diese Leute zu sehen», sagt Maxim. Wenn man sich nur online mit Gleichgesinnten austausche, werde man einsam. Er habe Jean-Paul Sartre gewählt, fügt er hinzu.

Wir würden gerne anders leben.
Autor: Michail Protestteilnehmer

Igor und Anja sind nicht wirklich zum Wählen gekommen. «Es geht eher darum, unsere Haltung zu zeigen», sagt Igor. «Und das können wir nur noch so.» Im Wahllokal habe man sie dazu bringen wollen, elektronisch zu wählen, sagen sie, was aber anfälliger für Fälschung sei. Als sie ihren Zettel ausgefüllt habe, habe ihr ein Polizist über die Schulter geschaut, erzählt Anja.

Michail ist mit seiner kleinen Tochter aus der Stadt Kostroma hergefahren, etwa fünf Autostunden von Moskau, um die Aktion zu erleben. «Ich will ihr zeigen, dass es trotz allem in Russland noch Andersdenkende gibt», sagt er sichtlich aufgewühlt. Warum er den Protest unterstütze? «Wir würden gerne anders leben», sagt Michail.

Eine Frau wirft ihren Wahlzettel in eine durchsichtige Urne.
Legende: Die Wahlurnen bestehen aus durchsichtigem Kunststoff. Keystone / EPA, MAXIM SHIPENKOV

Info 3, 17.03.2024, 17:00 Uhr

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