Umgerechnet knapp 29 Milliarden Franken an Kompensation will die Regierung in Kanada den Kindern von Ureinwohnern, die ihren Familien weggenommen wurden und in Pflegeheime und -familien gekommen sind, bezahlen. Viele Tausende sollen entschädigt werden.
Auch das diskriminierende System der Kinderfürsorge in Kanada soll damit reformiert werden. Darauf hat sich die Regierung mit Organisationen der First Nations – so werden die indigenen Völker in Kanada bezeichnet – geeinigt. Eine Einigung, die in Ottawa als historisch bezeichnet wird. Damit endet ein jahrelanger Rechtsstreit.
Indigene Kinder werden sehr viel häufiger den Eltern weggenommen als weisse Kinder.
Wie die Regierung in Ottawa diese Gelder genau einsetzen will, weiss Andrea Christen, SRF-Auslandredaktor und Kanada-Kenner: «Mit der Hälfte des Geldes sollen Betroffene entschädigt werden, mit der anderen Hälfte will man das Kinderfürsorgesystem reformieren.»
Der Grund dafür ist: «Indigene Kinder sind in der Kinderfürsorge in Kanada stark übervertreten. Sie werden sehr viel häufiger den Eltern weggenommen als weisse Kinder. Und das schon seit Jahrzehnten.»
Schlimme Zustände in Reservaten
Indigene Organisationen argumentierten seit Jahren, in den vielfach ärmlichen, teils sehr abgelegenen indigenen Gemeinden Kanadas gebe es zu wenig Sozialleistungen für Kinder und kaum Unterstützung. Sie würden nicht angemessen versorgt, auch medizinisch nicht. Statt den Familien in den Reservaten zu helfen, nehme man die Kinder aus den Familien und unterstelle sie der Fürsorge, gebe sie unnötigerweise zu Pflegeeltern, so der Vorwurf.
Das will die Regierung nun ändern. Allerdings mit einiger Verzögerung. Das kanadische Menschenrechtstribunal stellte schon 2016 fest, die Regierung diskriminiere indigene Kinder in den Reservaten, gebe weniger Geld für sie aus als für nicht-indigene. Ottawa müsse den Kindern und Familien deshalb Entschädigungen zahlen. Das Urteil wollte die Regierung nicht akzeptieren.
«Das kam vielerorts gar nicht gut an», weiss Christen. Es hiess, Premierminister Justin Trudeau rede zwar viel von der Aussöhnung mit den Ureinwohnern, zerre jetzt aber indigene Kinder vor Gericht. «Diesen Vorwurf hörte er etwa von der linken Opposition dieses Jahr im Wahlkampf.» Im Herbst verlor seine Regierung dann vor Gericht und hat nun mit indigenen Organisationen und Anwälten, die Sammelklagen vorgebracht hatten, verhandelt. Kurz vor Jahresende stand dann die Vereinbarung über fast 29 Milliarden Franken.
Noch ein weiter Weg zur Versöhnung
Trudeau hatte die Aussöhnung mit den Indigenen zu einer Priorität erklärt. Doch wird sein Vorhaben mit diesen knapp 29 Milliarden Franken eingelöst? «Die beteiligten Parteien haben sich zunächst einmal im Prinzip auf diese Summe geeinigt», sagt Christen. Wer genau Anspruch darauf hat, soll erst noch ausgearbeitet werden.
«Wenn aber das System der Kinderfürsorge tatsächlich reformiert werden kann, wäre das tatsächlich ein wichtiger Schritt», glaubt er. Aber allen Parteien sei klar: «Der Weg zu dieser Reconciliation, zur Versöhnung, ist noch sehr weit.» Denn Probleme gibt es viele: Gerade in weit abgelegenen Reservaten, die nur mit dem Flugzeug erreichbar sind, fehlt es an Wohnraum, an Gesundheitsversorgung, teils sogar an sauberem Wasser. «Es gibt also noch viel zu tun.»