Tausende Menschen in Mexiko leiden Gewalt, verschwinden, sterben. Viele von ihnen fallen dem Drogenkrieg seit 2006 zum Opfer. Nun erreicht die Gewaltwelle in dem mittelamerikanischen Land ein neues Ausmass. Allein an diesem Wochenende wurden rund 200 Menschen ermordet. Vor allem Zivilpersonen.
Brennpunkte der Gewalt gab es in mehreren Städten Nordmexikos. «Das ging vorigen Dienstag los und eskalierte zum Wochenende hin», erklärt die freie Südamerikajournalistin Sandra Weiss. «Kriminelle zündeten Supermärkte an. Sie beschossen Restaurants und errichteten Strassenblockaden, an denen Autos verbrannt wurden», so Weiss. Auf Zivilisten nahmen sie keine Rücksicht.
Hinter dem aktuellen Vorgehen vermutet Sandra Weiss den sanften Kurs der Regierung gegenüber Kartellen. Präsident Obrador verzichtet seit drei Jahren auf direkte militärische Konfrontation oder Festnahmen ranghoher Drogenbosse.
Kurs mit Folgen
«Das hat ein Vakuum im öffentlichen Raum hinterlassen, das die Kartelle zunehmend für sich beanspruchen. Sie zeigen ihre Macht jetzt offen und fordern den Staat heraus», schätzt Sandra Weiss ein. Bewaffnete kriminelle Banden nehmen sich ein Beispiel an der Freilassung eines Drogenjuniors 2019.
Die Kartelle setzen die Regierung unter Druck. Für diese jüngste Gewaltwelle gibt es an unterschiedlichen Orten unterschiedliche Auslöser gemäss Weiss:
- Guadalajara: Der Sicherheitschef des örtlichen Drogenkartells wurde festgenommen. Er sollte offenbar durch diese Gewaltakte frei gepresst werden.
- Ciudad Juarez: Es kam zu einer Schiesserei und Exekutionen verfeindeter Banden innerhalb des Gefängnisses. Das verlagerte sich vom Gefängnis auf die Strasse und artete in eine Art öffentliches Gemetzel aus.
- Tijuana: Die Bürgermeisterin sagte, die Kartelle würden sich an denjenigen rächen, die ihnen kein Schutzgeld bezahlt hätten.
Spezialisten sehen auch strukturelle Ursachen in der Welle der Gewalt. «Es ist ein offenes Geheimnis, dass die USA den Schmusekurs des mexikanischen Präsidenten mit den Kartellen gar nicht gutheissen», so Weiss.
Der mexikanische Staat steht vor einer schwierigen Aufgabe. Einerseits müsste er etwas gegen die Gewaltwelle und die Kartelle tun. Andererseits will er nicht, dass der Kampf mit den Kartellen eskaliert. Zwei Strategien funktionieren laut Weiss klar nicht. Das sei einerseits die Militarisierung. Aber auch «ein Einknicken und ein Schmusekurs funktionieren nicht». Beides würde die Gewaltspirale befeuern.
Netzwerke zerschlagen
Experten erarbeiten daher seit Jahren Strategien und Massnahmen, darunter auch Experten im Auftrag der UNO. So soll der Einfluss der organisierten Kriminalität in Politik und Wirtschaft begrenzt werden. «Dies kann erreicht werden, indem man die Wahlkampffinanzierung strenger kontrolliert und Geldwäsche professionell verfolgt. Es geht darum, diese Netzwerke zu zerschlagen.»
Doch dafür brauche ein Land eine unabhängige, professionelle Justiz. Und diese fehlt in Mexiko. Weiter benötigt es laut der Journalistin regional spezialisierte Cluster. «Denn jede Region hat eine andere kriminelle Logik.»
Es gilt also, diese regionalen Problematiken anzugehen. Ein riesiger Apparat bewaffneter Soldaten im ganzen Land soll dabei nicht helfen, sagt Weiss. Denn nach Ansicht der Expertinnen und Experten braucht es vor allem intelligente Ermittler und Spezialeinheiten.