Kilometerlang geht es vorbei an Pipelines und Gasspeichern, Kaminen und Hafenanlagen. Bevor wir in die Anlage von Cheniere in Sabine Pass eingelassen werden, wird das Auto und jede Tasche durchsucht. Es ist die grösste Flüssiggas-Anlage der USA und die zweitgrösste der Welt. Sie gehört zur kritischen Infrastruktur des Landes. Von hier stechen Tanker mit Flüssiggas in See.
Ein Schiff enthält genug Gas, um über 40‘000 Haushalte ein Jahr lang zu versorgen, um zu heizen und zu kochen. Ein bereits geplanter Ausbau der Anlage wurde beschleunigt, sodass nun mehr Schiffe auslaufen können als letztes Jahr, erklärt Betriebsleiter Maas Hinz: «Unser Baupartner hat die neue, sechste Verflüssigungsstation fast ein Jahr früher als geplant fertiggestellt. Diese zusätzliche Menge ist nun vorzeitig verfügbar für den weltweiten Markt», sagt Hinz.
Zusätzlich hat Cheniere Unterhaltsarbeiten optimiert, um einige Schiffe zusätzlich abfertigen zu können. Derzeit ist die Anlage voll ausgelastet.
Rund zwei Drittel der Tanker gehen derzeit nach Europa – vor einem Jahr war es nur ein Drittel.
Die USA sind zum grössten Exporteur von Flüssiggas geworden. US-Politiker hatten Europa seit langem kritisiert für die Abhängigkeit von russischem Gas. In Europa sah man darin nur wirtschaftliches Eigeninteresse.
Jetzt sind die Regierenden in Europa froh um Gas aus den USA. Zehn Prozent der bisher aus Russland gelieferten Menge Gas hatte Präsident Joe Biden im Frühling Europa zusätzlich versprochen – schon dieses Jahr. Dieses Ziel ist bereits übertroffen.
Immer mehr Schiffe laufen aus den USA Richtung Europa aus. Doch damit stiegen auch in den eigentlich rohstoffreichen USA die Preise, kritisieren Konsumentenorganisationen.
Profiteure der Krise sind die grossen Gaskonzerne, die hohe Gewinne verzeichnen. Wir konfrontieren den Vize-Vorsitzenden von Cheniere, Anatol Feygin. «Das ist ein Faktor eines konjunkturabhängigen Geschäfts», sagt Feygin. «Wir tun, was wir können, um neue Anlagen in Betrieb zu nehmen, so rasch wie möglich, und damit diese Krise zu mildern.»
Die USA könnten die erhöhte Nachfrage nach Flüssiggas an sich sehr gut erfüllen, sagt Samantha Dart, Analystin von Goldman Sachs. Aber es brauche Zeit und langfristige Planung: «Mehrere Anlagen in den USA sind im Bau, aber sie werden erst Ende 2024 oder 2025 in Betrieb gehen.»
Gefragt sind Langzeitverträge – Europa zögert
Flüssiggas-Kapazitäten zu erstellen, dauert rund fünf Jahre und kostet Milliarden. Um den Gasmangel zu entschärfen und die Preise zu senken, brauche es heute zusätzliche Investitionen, so Dart. «Damit in den USA in mehr Exportanlagen investiert wird, müssen mehr Langzeitverträge abgeschlossen werden. Europa ist da das Schlusslicht und zögert, solche langfristigen Verträge abzuschliessen, weil es so sehr auf die Energiewende fokussiert, dass wir bis heute nicht viele Verträge mit Europa sehen.»
Seit dem Krieg in der Ukraine würden zwar mehr solche Langzeitverträge abgeschlossen, aber vor allem mit Asien und weltweiten Händlern.
Cheniere baut derzeit eine Flüssiggas-Anlage in Texas aus, dank Langzeitverträgen mit Abnehmern. Feygin gibt sich zuversichtlich, dass Flüssiggas auch nach der Energiewende eine Zukunft hat. «Wir sind überzeugt, dass Gas nicht nur als vorübergehender Ersatz von Kohle eine Rolle spielen wird, sondern auch als Ergänzung von unregelmässigen Energielieferanten wie Sonne und Wind.»
Derzeit kauft sich Europa mit hohen Preisen Gas, das dafür in Asien fehlt. Wie viele zusätzliche Tanker am Ende des Jahrzehnts auslaufen, hängt davon ab, wie viel Abnehmer heute investieren.