Ein Jahr ist es her, seit Truppen der russischen Söldnergruppe Wagner in einem bewaffneten Aufstand auf Moskau zustürmten. Der Aufstand wurde überraschend durch einen Deal beendet – Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin zog seine Männer ab und durfte dafür zunächst ungestraft nach Belarus ausreisen.
Doch wenig später starb Prigoschin in einem bis heute ungeklärten Flugzeugabsturz, sein Unternehmen und sein Medienimperium wurden zerschlagen. Doch wie funktionierte dieses Medienimperium und wie erlebten Prigoschins Angestellte den Aufstand? Wir haben in Sankt Petersburg mit einem Mann gesprochen, der für Prigoschins Newsagentur gearbeitet hat.
«Prigoschin war ein strenger Chef»
Das Treffen findet in einer überfüllten Bar an einer Petersburger Ausgehmeile statt. Dima, wie wir ihn nennen, will vollständige Anonymität. Radio SRF hat aber Dokumente einsehen können, die seine Identität bestätigen und bescheinigen, dass er für Prigoschins Nachrichtenseite «Föderale Newsagentur» gearbeitet hat.
«Ich habe Prigoschin – den Chef – einige Male getroffen, als er zu uns auf die Redaktion kam. Er kam rüber wie ein harter Kämpfer, aber auch wie ein sehr intellektueller Mann. Und er war ein strenger Chef: Beim ersten Mal hat er mir erklärt, wie ich meine Arbeit zu machen hätte. Beim zweiten Mal hat er mich zusammengestaucht, gesagt, ich sei ein absolutes Arschloch.»
Jewgenij Prigoschin nutzte seine Medien wie die Föderale Newsagentur, um seinen Einfluss auszubauen, sagt Dima. Dann, 2022, lancierte Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. «Am ersten Tag bekamen wir ein Heft ausgehändigt, wie wir uns als russisches Medium verhalten sollen. Der wichtigste Punkt war: Russland greift nicht an. Russland führt eine Spezialoperation durch, um die Leute im Donbass zu verteidigen.»
Der Aufstand war ein Schock
Als die Offensive auf Kiew ins Stocken geriet, kam Wagner auch in der Ukraine zum Einsatz. «Bald spürten wir den Neid des Verteidigungsministeriums. Andere russische Medien durften nicht mehr über uns schreiben. Darum hat Prigoschin angefangen, alles selbst zu kommentieren.» Prigoschin kritisierte, Wagner bekomme nicht genug Munition. Seine Männer stürben, während die Beamten in teuren Clubs sässen.
Im Juni 2023 mündete der Konflikt mit dem Verteidigungsministerium in den Aufstand, den Prigoschin den «Marsch der Gerechtigkeit» nannte. Für Dima wollte Prigoschin mit der Meuterei bloss die Führung des Verteidigungsministeriums zum Rücktritt zwingen. Doch der Aufstand war auch für ihn ein Schock. «Ich wusste nichts davon. Aber mein Vorgesetzter war offenbar im Bild. Er hat mir nur gesagt, der Chef werde irgendwohin fahren, um mit jemandem zu reden.»
Mein Chef war nicht der netteste Mensch, er war ein grausamer Mensch. Aber er war echt. Er war ein Anführer.
Als der Aufstand losging und Prigoschin und seine Leute im russischen Staatsfernsehen als «Verräter» bezeichnet wurden, fuhr Dima mit seiner Familie aufs Land, sagte ihnen, sie sollten ja nicht den Namen «Wagner» erwähnen. Eine Woche später schien die Gefahr vorbei, Prigoschin und seine Söldner hatten sich nach Belarus zurückgezogen. Dima wurde mit seinen Kollegen ins Büro der Newsagentur zitiert. Sie erhielten ihren letzten Lohn und wurden entlassen; die Agentur wurde aufgelöst.
Dima hält weiterhin zu Prigoschin. «Mein Chef war nicht der netteste Mensch, er war ein grausamer Mensch. Aber er war echt. Er war ein Anführer.»