Iryna Venediktova ist Selenskis neue Botschafterin in Bern. Im Club verrät sie, was sie von der Schweizer Neutralität hält.
SRF: Sie haben Ignazio Cassis, Viola Amherd und Alain Berset getroffen: Was wollen Sie in der Schweiz erreichen?
Iryna Venediktova: Wir versuchen, die Solidarität mit unserem Volk zu stärken. Ich bin dem Schweizer Volk und der Regierung sehr dankbar für die Unterstützung und Hilfe, die sie leisten. Aber wir brauchen mehr. Es ist ein entscheidender Moment. Wer wird gewinnen? Die helle oder die dunkle Seite.
Wenn die Schweiz uns keine Waffen geben kann, respektieren wir das. Aber bitte lassen Sie anderen Ländern die Möglichkeit, uns diese Waffen zu liefern.
Wir brauchen mehr finanzielle Mittel für konkrete Projekte. In Charkiw, meiner Heimatstadt, findet der Unterricht nur noch online statt. Damit wir unter sicheren Bedingungen leben können, müssen wir Luftschutzkeller für Schulen und Spitäler bauen.
Mit dem russischen Geld aus der Schweiz?
Bei der Frage nach der Beschlagnahmung von russischem Geld geht es darum, zu beweisen, ob diese Menschen mit Kriegsverbrechen in Verbindung stehen. Vielleicht richtet die Schweizer Regierung eine Taskforce ein, die hilft, solche Beweise zu finden.
Sie sagen, Sie brauchen mehr Waffen. Verstehen Sie, wenn die Schweiz mit der Neutralität darauf antwortet?
Wir respektieren die Neutralität der Schweiz. Die Wiederausfuhr wird jetzt aber im Parlament besprochen. Wenn die Schweiz uns keine Waffen geben kann, respektieren wir das. Aber bitte lassen Sie anderen Ländern die Möglichkeit, uns diese Waffen zu liefern. Es ist eine Frage des Überlebens für unser Volk und unseren Staat.
Die Ukraine will der EU beitreten. Auf dem Korruptionsindex steht sie auf Platz 116 von 180 Ländern.
Als ich Generalstaatsanwältin war, habe ich auch im Bereich der Korruptionsbekämpfung gearbeitet und das erste Anti-Korruptionsforum ins Leben gerufen. Die Ukraine ist noch ein junger Staat. Wir sind dabei, die demokratischen Institutionen laufend zu verbessern, auch jetzt im Krieg treiben wir Reformen voran.
Als Generalstaatsanwältin waren Sie verantwortlich dafür, Beweise für Kriegsverbrechen zu sammeln. Wie gingen Sie vor?
Wir haben zum Beispiel Beweise in der Stadt Kramatorsk gesammelt, nachdem russische Raketen eingeschlagen sind. Ich leitete die Abteilung für die Untersuchung von Kriegsverbrechen mit Militärexperten, internationalen Experten und Völkerrechtlern. In jedem Bezirk haben wir Leute im Sicherheitsdienst, der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Sie wissen, wie man ermittelt. Wir haben Tausende Fälle dokumentiert, und unsere Methoden und Algorithmen werden immer effizienter und genauer.
Russland hat laut einer US-Studie über 6000 ukrainische Kinder in Umerziehungslager gebracht. Was können Sie tun?
Wenn die Russen unsere Kinder in alle Teile der Russischen Föderation verschleppen, begehen sie Völkermord. Was mit dem Holodomor schonmal geschehen ist, als unter Stalin Millionen von Ukrainerinnen und Ukrainern ausgehungert wurden. Natürlich tun die ukrainischen Behörden alles, um diese Kinder zurückzubringen.
Kann die ukrainische Bevölkerung der russischen – nicht der Regierung, sondern dem Volk – jemals verzeihen?
Helfen Sie uns erst, zu gewinnen, dann können wir über diese Fragen sprechen. Unsere Soldaten an der Front tun alles, um Zivilistinnen und Zivilisten vor Raketenangriffen zu schützen. Die Menschen arbeiten weiter, um den Haushalt der Ukraine stabil zu halten und zu zeigen, dass wir ein geeintes und lebendiges Land sind.
Das Gespräch führte Sofiya Miroshnyk.