Was ist der Unterschied zwischen politischer und rechtlicher Neutralität? Die Schweiz hat die Haager Abkommen unterzeichnet. Damit hat sie sich als neutraler Staat dazu verpflichtet, Kriegsparteien militärisch gleichzubehandeln. Politisch Position zu beziehen, steht neutralen Staaten allerdings rechtlich gesehen frei.
Laurent Goetschel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Basel, sagt dazu: «Neutralität sagt nicht, dass man nicht sagen darf, wer recht und wer unrecht hat. Es bedeutet vielmehr, dass man sich militärisch enthält, wenn es einen Krieg gibt zwischen zwei Staaten.» Vertreterinnen und Vertreter einer strikten Neutralität argumentieren allerdings, dass die Schweiz auch politisch keine Stellung beziehen soll.
Weshalb kann die Schweiz als neutraler Staat Sanktionen gegen Russland übernehmen? Die Schweiz übernimmt als UNO-Mitglied seit Jahren sämtliche Sanktionen der Vereinten Nationen. Bei denjenigen der Europäischen Union entscheidet sie hingegen von Fall zu Fall. Als die EU im Februar 2022 Sanktionen gegen Russland verhängte, wollte der Bundesrat anfangs nur verhindern, dass sanktionierte Russen und Russinnen diese Strafmassnahmen über die Schweiz umgehen. Nach wenigen Tagen beschloss er aber, die Sanktionen zu übernehmen. Konten und andere Vermögenswerte russischer Personen, die auf der Sanktionsliste stehen, wurden eingefroren.
Weil es sich um wirtschaftliche und nicht militärische Massnahmen handelt, stand der Schweiz diese Entscheidung als neutraler Staat völkerrechtlich offen. Der Bundesrat argumentierte: «Einem Aggressor in die Hände zu spielen, ist nicht neutral.»
Welche Rolle spielt die Neutralität bei indirekten Waffenexporten in die Ukraine? Ein neutraler Staat muss beide Kriegsparteien militärisch gleich behandeln. Daher darf die Schweiz keine Waffen direkt an die Ukraine liefern. Es gibt auch kaum Stimmen in der Schweiz, die dies fordern.
Der Streitpunkt betrifft die Wiederausfuhr von Waffen. Soll die Schweiz es erlauben, dass Staaten wie Deutschland oder Spanien Schweizer Waffen, die sie vor Jahren gekauft haben, an die Ukraine weitergeben? Heute verbietet dies das Kriegsmaterialgesetz.
Weshalb müssen andere Staaten die Schweiz um Erlaubnis bitten, wenn sie bereits gekauftes Kriegsmaterial weitergeben wollen? Alle Staaten, die in der Schweiz Kriegsmaterial kaufen, unterzeichnen sogenannte Nichtwiederausfuhr-Erklärungen. Das Ziel ist, dass Schweizer Kriegsmaterial nicht unkontrolliert weitergegeben werden kann, zumal das Schweizer Kriegsmaterialgesetz im internationalen Vergleich streng ist.
Wollen Staaten eine Ausnahme von dieser Abmachung, müssen sie die Schweiz um Erlaubnis bitten – doch der Bund lehnte Gesuche von Deutschland oder Frankreich ab. Der Bundesrat argumentierte, er habe seit einer Verschärfung des Kriegsmaterial-Gesetzes im Jahr 2021 keinen Spielraum mehr, Ausnahmen zu gewähren. Und spielte damit den Ball weiter ans Parlament, welches diese Verschärfung vor zwei Jahren gegen den Willen des Bundesrates beschlossen hatte. Bei vielen europäischen Staaten sorgt die Schweizer Haltung für Unverständnis, weil sie Lieferungen in die Ukraine nicht nur selbst ablehnt, sondern diese auch anderen Staaten erschwert.