Ein Jahr nach Abzug der USA aus Afghanistan haben die Taliban praktisch alle ihre Versprechen gebrochen. Und es zeigt sich: Mit ihnen ist die Herrschaft der Angst zurückgekehrt. Wie sich die Lage für ein Hilfswerk in Kabul derzeit darstellt, weiss Stefan Recker von Caritas International.
SRF News: Sie waren vor einem Jahr aus Afghanistan evakuiert worden, jetzt sind Sie wieder zurück in Kabul?
Stefan Recker: Ja, ich bin schon seit Ende Dezember wieder hier. Die meisten afghanischen Kolleginnen und Kollegen wurden allerdings nach Deutschland evakuiert, zumindest jene, die das wollten. Jetzt stellen wir neue Einheimische für unsere Hilfsprojekte ein.
Können Sie ihre humanitären Projekte unter den Taliban wie geplant durchführen?
Unsere Projekte laufen – Afghanistan wird ja nicht eigentlich von einer Hungerkrise heimgesucht, sondern von einer Kaufkraftkrise.
Die Menschen haben kein Geld, um sich Nahrungsmittel zu kaufen.
Die Nahrungsmittel sind vorhanden, aber die Menschen haben kein Geld, um sie sich zu kaufen. Wir helfen verschiedenen Gruppen mit Geld aus, damit sie sich zumindest zeitweise Nahrungsmittel kaufen können.
Wie steht es um die Frauen und ihre Rechte in Afghanistan?
Die Frauen werden von der Bildung und dem öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen, manche Mädchen werden schon im Alter von zehn Jahren verheiratet. Gerade letzteres ist ein Indikator für die Wirtschaftslage: Je schlechter es den Familien geht, desto jünger werden die Mädchen verheiratet.
Manche Mädchen werden schon im Alter von zehn Jahren verheiratet.
Bei der Caritas haben wir es geschafft, mehrere Frauen einzustellen. Sie müssen jeden Tag befürchten, auf dem Weg zur Arbeit Taliban-Patrouillen in die Arme zu laufen.
Wie sehen Sie ihre Stellung im Spagat zwischen den international isolierten Taliban, die auch finanziell sanktioniert werden, und der Not der Bevölkerung, die kein Geld hat?
Wir sind ganz klar auf der Seite der Bevölkerung. Unsere Aufgabe besteht auch in Lobbyarbeit bei westlichen Regierungen, vor allem der deutschen, damit die Hilfe weitergeführt wird. Denn ohne diese Hilfe würden die Menschen in Afghanistan noch viel stärker Hunger leiden und sie hätten überhaupt keine Perspektive. Im Moment können wir wenigstens einige Gruppen unterstützen. Das Land wird so knapp über Wasser gehalten.
Wie verhalten sich die Taliban gegenüber Ihrer Arbeit?
Gegen aussen unterstützen uns die Taliban und wollen, dass wir humanitäre Hilfe leisten. Doch gegen innen gibt es viele bürokratische Hürden. Wir sind aber in der Lage, mit diesen Hindernissen umzugehen. Dabei spielen vor allem die lokalen afghanischen Partnerorganisationen eine sehr wichtige Rolle, weil sie gut vernetzt sind und auf lokaler Ebene auch Druck ausüben können.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.