Darum geht es: Die Lage in Libanon ist explosiv. Das Land steht wirtschaftlich und politisch am Abgrund, auch Gewalt ist ein Problem. So wurden in der Hauptstadt Beirut letzte Woche bei schweren Gefechten auf offener Strasse sieben Menschen getötet, mindestens 30 wurden verletzt. Darunter sind mehrere Anhänger der Schiitenmiliz Hisbollah. Ihr Chef, Hassan Nasrallah, beschuldigt eine christliche Gruppierung, einen Bürgerkrieg anzetteln zu wollen. Zugleich behauptete er, seine Hisbollah verfüge über 100'000 Kämpfer.
So gross ist Hisbollah wirklich: Ob die militante Schiiten-Organisation tatsächlich über so viele Kämpfer verfügt, sei schwer abzuschätzen, sagt Jonas Bischoff, SRF-Korrespondent im Nahen Osten. Bisherige Schätzungen gingen eher von 50'000 bis 60'000 Kämpfern aus. Klar ist, dass die Hisbollah als verlängerter Arm Irans gilt und Teil einer Achse schiitischer Milizen in der Region ist. «In Libanon bildet die Hisbollah gewissermassen einen Staat im Staat – sie ist sehr mächtig», so Bischoff.
Das will Nasrallah erreichen: Mit seiner Aussage will der Hisbollah-Chef vor allem klarmachen, welche Macht seine Organisation in Libanon hat, wie Bischoff ausführt. Nasrallah rassle mit dem Säbel. Denn die mehrstündigen Feuergefechte von letzter Woche hätten böse Erinnerungen an den libanesischen Bürgerkrieg geweckt, der von 1975 bis 1990 gedauert hat. Wie damals verliefen die Spannungen am vergangenen Donnerstag entlang religiöser Linien.
Deshalb die Drohung der Hisbollah: Nasrallahs Hinweis auf die angebliche Stärke seiner Kämpfer muss als Drohung gesehen werden – auch wenn er zugleich betonte, keinen neuen Bürgerkrieg zu wollen. Seine Botschaft: Die Hisbollah toleriert es nicht, angegriffen zu werden. Und sie schlägt zurück, falls es jemand trotzdem wagen sollte. Auch wenn die Hisbollah nur die Hälfte der behaupteten 100'000 Kämpfer unter Waffen hat, ist klar, dass die Schiitenmiliz eine starke Kraft ist im Land und man sich besser nicht mit ihr anlegt. Denn: «Wenn es zu weiteren vergleichbaren Spannungen wie vergangene Woche kommt, könnte in Libanon tatsächlich ein neuer Bürgerkrieg ausbrechen», so Korrespondent Bischoff.
Darum ist die Lage so brenzlig: Ob sich die Spannungen jetzt weiter verschärfen werden, sei offen. «Die Spannungen in Libanon sind bereits jetzt riesig», so Bischoff. Schuld daran sei eine der schlimmsten Wirtschaftskrisen der jüngeren Geschichte: Es gibt kaum Treibstoff, der Strom fällt dauernd aus, die öffentliche medizinische Versorgung funktioniert kaum noch. Dazu kommt die Mega-Explosion im Hafen von Beirut vom letzten Jahr, die nach wie vor nicht aufgearbeitet ist. «Auf diesem Nährboden schlagen Spannungen rasch in Gewalt um», befürchtet der Korrespondent. Tatsächlich sind neue Strassenproteste bereits für heute angekündigt.