An diesem Montagmorgen lernen sich zwei Menschen kennen, die sich ohne diese ganz speziellen Umstände wohl niemals getroffen hätten. Palästinenserin Moran Bohloq ist 15 Jahre alt und lebt in Nablus im Westjordanland. Wegen einer Krebserkrankung ist sie auf Chemotherapie angewiesen.
Gavriel Hellman führt in Friedenszeiten deutschsprachige Touristen durch seine Heimat Israel. Doch seit dem Ausbruch des Krieges finden kaum noch ausländische Reisende den Weg hierher. Sein gutes Deutsch hat er von seinen Eltern gelernt, die einst von den Nazis aus Deutschland geflüchtet waren und sich in der ersten Generation in Israel angesiedelt hatten.
Eine beschwerliche Reise
Gavriel fährt Moran heute mit seinem Privatauto in eine Klinik in Tel Aviv. Er holt sie und ihren Vater Ahmad Bohloq an einem Checkpoint beim Grenzzaun zwischen dem palästinensischen und dem israelischen Territorium ab. Palästinenserinnen und Palästinenser benötigen für die Einreise nach Israel eine Arbeits- oder eine Spezialbewilligung. Aber selbst wenn diese vorhanden ist, sind die Transportkosten für Familien aus dem Westjordanland zur Behandlung in eine israelische Grossstadt oft unbezahlbar.
Heute steht eine erste Sprechstunde an: «Ich bin sehr dankbar für die Hilfe», sagt Moran. Sie weiss, dass ihr in den nächsten Monaten eine anstrengende und schmerzhafte Chemotherapie bevorsteht.
Das Projekt «Road to Recovery» wurde bereits 2010 von israelischen Friedensaktivisten gegründet. Seither haben Freiwillige bereits Zehntausende Male schwer kranke Menschen aus dem Gazastreifen oder dem Westjordanland zur Behandlung ins Spital gefahren.
Engagement trotz Krieg und Terror
Als Hamas-Terroristen am 7. Oktober 2023 israelische Siedlungen überfielen, wurden auch sechs Menschen getötet, die sich für das Projekt engagiert hatten. Ein freiwilliger Helfer wird bis heute als Geisel im Gazastreifen festgehalten. Trotzdem gingen die Fahrten bereits am 8. Oktober weiter.
Auch im Krieg muss man weiter Mensch sein.
Allerdings ist die Arbeit schwieriger als zuvor. Auch die Spenden aus Israel seien zuletzt zurückgegangen, heisst es bei der Organisation.
Gavriel Hellman sagt, seine beiden Söhne würden ihn wegen seines Engagements für verrückt erklären: «Sie sagen: ‹Was machst du, wir sind im Krieg! ›». Hellman lässt sich davon aber nicht von seiner Überzeugung abbringen: «Auch mitten im Krieg muss man weiter Mensch sein.»
«Eine Stunde des Friedens»
Die Fahrt ins Spital dauert für Moran, Ahmed und Gavriel eine knappe Stunde, wie die meisten dieser Fahrten. «Eine Stunde des Friedens» nennen sie die Initiantinnen und Initianten. «Es ist eine schöne Stunde in meinem Leben», sagt Gavriel Hellman und lacht: «Eine Stunde der Ruhe und der Normalität – fast wie in der Schweiz».
Die Fahrten von «Road to Recovery» sind einerseits humanitäres Engagement, andererseits sollen sie aber auch ein Zeichen des Friedens sein. Auch wenn der Frieden in der Region kaum je so weit weg war wie jetzt.