«Von meiner Familie sind 20 Menschen im selben eingestürzten Haus umgekommen», sagt Ashti Amir. Ein Teil seiner Familie wohnt im Erdbebengebiet in Nordwest-Syrien. In diese von Rebellen gehaltene Region sind mehrere Millionen Flüchtlinge im syrischen Bürgerkrieg geflüchtet. Die Ortschaften waren vom Krieg zerbombt und das Elend schon Alltag, als das grosse Beben kam.
Für Olivenöl, Waffen und andere Geschäfte werden die Grenzübergänge benutzt, auch Leichen konnten nach dem Erdbeben aus der Türkei nach Syrien gebracht werden.
«In Nordsyrien gibt es gar nichts mehr», sagt Nahost-Kenner Reinhard Schulze in der Sendung Club. «Diese Region ist nun dermassen zerstört, dass an einen Wiederaufbau kaum zu denken ist.» Die einzige Hilfe, die in diesen Gebieten vom ersten Tag des Bebens an funktionierte, war jene der oppositionellen Zivilschutzorganisation «White Helmets».
Es komme so gut wie keine Hilfe, sagt Ashti Amir, der als Leiter des Hilfswerks SyriAid in der Schweiz Hilfe zu organisieren versucht. «Als der erste Konvoi der UNO nach einigen Tagen in der Provinz Idlib ankam, fand sich in vielen der 16 Lastwagen Reinigungsmittel», erzählt er. «Die Leute haben keine Häuser mehr, sie brauchen keine Reinigungsmittel, sie brauchen Zelte!»
Grenzübergänge mehrheitlich zu
Die zahlreichen Grenzübergänge von der Türkei nach Syrien sind – bis auf einen – aus politischen Gründen geschlossen. Diese müssten aber sofort für Hilfskonvois geöffnet werden, fordert Ashti Amir und kritisiert: «Für Olivenöl, Waffen und andere Geschäfte werden die Grenzübergänge benutzt, auch Leichen konnten nach dem Erdbeben aus der Türkei nach Syrien gebracht werden.»
Im UNO-Sicherheitsrat wurde in den letzten Tagen um eine neue Resolution gerungen, welche die Öffnung von mehr Grenzübergängen fordert. Dafür müsse sich auch die Schweiz einsetzen, sagt Nahost-Experte und Journalist Erich Gysling. «Die Schweiz hat derzeit einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat und es wäre ihre Aufgabe, eine Öffnung zu erwirken.»
Streit um Sanktionen
Die Ankündigung des syrischen Machthabers Baschar-al-Assad, nun zwei weitere Grenzübergänge öffnen zu wollen, bringt Hilfsorganisationen und westliche Regierungen in ein Dilemma. Sie wollen auf keinen Fall, dass Transporte dem Assad-Regime in die Hände fallen. «Man weiss, dass Hilfsgüter, die über Damaskus kommen, zu fast 100 Prozent an den Checkpoints einkassiert werden und nicht dort ankommen, wo sie hin sollten», sagt Schulze. «Assad belässt das Land in Trümmern und schöpft die ausländische Hilfe ab, um sich an der Macht zu halten.»
Assad wird von den allermeisten Staaten geächtet. Wegen seines gewaltsamen Vorgehens gegen die Bevölkerung wurden 2011 internationale Sanktionen gegen seine Regierung erlassen. Für Assad eröffnet das Erdbeben nun die Chance, politisches Kapital zu schlagen: Er möchte, dass die Sanktionen aufgehoben werden.
Klar ist, dass auch wegen der Sanktionen das kriegsversehrte Land bis heute nicht wieder aufgebaut werden konnte – 80 Prozent der Bevölkerung leben in Armut. Gysling sieht deshalb in der Lockerung von Sanktionen auch eine Chance. «Diese Sanktionen zu erlassen war von Anfang an der falsche Weg, wenn man will, dass das Land wieder aufgebaut wird und die Flüchtlinge zurückkehren.»