«Russland hat offenbar nicht nur geniale Wissenschaftler, sondern auch eine gehörige Portion Risikobereitschaft», sagte SRF-Russlandkorrespondent David Nauer noch im August.
Damals wartete das staatliche Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau mit einer Sensationsmeldung auf: Der Corona-Impfstoff «Sputnik V» hatte die Zulassung für die breite Anwendung an der Bevölkerung erhalten. Eine Weltpremiere.
Ich habe mir schon überlegt, was ich da mache. Ich gebe aber zu: Ich war gegenüber diesem Impfstoff lange skeptisch.
Die leitenden Forscher hatten sich schon Wochen zuvor selbst impfen lassen. Nun, fünf Monate später, lässt sich Nauer das russische Vakzin verabreichen. Obwohl nicht einmal Kreml-Chef Wladimir Putin bislang die Ärmel hochgezogen hat.
Im SRF-Podcast «Newsplus» berichtet der Korrespondent von seinen Plänen, die er heute Nachmittag in die Tat umgesetzt hat. Die Frage an den Korrespondenten sei erlaubt: Bist du lebensmüde?
«Überhaupt nicht», lächelt er den Unglauben aus der Heimat weg. «Ich habe mir schon überlegt, was ich da mache. Ich gebe aber zu: Ich war gegenüber diesem Impfstoff lange skeptisch.»
Die internationale Forschungsgemeinschaft reagierte im Sommer unterkühlt auf den vermeintlichen Durchbruch ihrer russischen Kollegen. Die Datenlage und Transparenz wurde verbreitet als mangelhaft bezeichnet.
Dazu kommt: Der russische Sputnik-Moment entpuppte sich bald als Bluff. Bis weit in den Herbst blieb es ruhig um das russische Vakzin. «Eigentlich waren sie nie schneller und nie weiter als westliche Pharmafirmen. Aber sie haben einfach so getan», so Nauer.
Inzwischen ist viel Zeit verstrichen, und die Impfkampagne in Russland ist in vollem Gang. Genug Zeit für den Korrespondenten, sich zu informieren. Die offiziellen Verlautbarungen trugen jedoch nur bedingt zu seiner Beruhigung bei. «Teils waren die Informationen widersprüchlich und auch zu schön, um wahr zu sein. Das hat mich eher misstrauisch gemacht.»
Nauer nennt ein Beispiel: Sobald ein westlicher Pharmakonzern auf die hohe Wirksamkeit seines Impfstoffs aufmerksam machte, folgte postwendend die Antwort der Verantwortlichen von Sputnik V – selbstredend mit dem Hinweis auf die höhere Effizienz des eigenen Impfstoffs.
Grosse Wissenschaftstradition
Die forsche Kommunikationsstrategie habe die Glaubwürdigkeit des russischen Vakzins zwar beschädigt, sagt Nauer rückblickend. Aber: «Nur weil die Verantwortlichen geblufft haben, heisst das nicht, dass dieser Impfstoff nichts taugt.»
Denn Russland habe eine grosse wissenschaftliche Tradition, und auch die staatlichen Institute seien gut. «Sie haben wohl sehr schlechte PR-Abteilungen. Aber die Wissenschaftler können schon etwas.»
Mittlerweile haben sich Nauers Zweifel gelegt. Auch, weil er sich von unabhängiger Seite informieren konnte. «Der Tenor bei russischen Ärzten und Wissenschaftlern ist: Es ist sicher besser, sich mit Sputnik V impfen zu lassen, als Covid zu kriegen.»
Schliesslich geniesse auch das Gamaleja-Institut in Fachkreisen einen guten Ruf. «Und auch mein Eindruck vom russischen Gesundheitswesen ist, dass die Ärzte gut ausgebildet sind und wissen, was sie tun. Auch wenn es manchmal ein bisschen hemdsärmeliger zugeht.»
Dazu kommen die Erfahrungen aus seinem persönlichen Umfeld. Denn auch viele seiner Bekannten, darunter auch Ärzte, hätten ihre anfängliche Skepsis abgelegt. Sein Fazit trägt der Korrespondent mit einem schweizerdeutschen Bonmot vor: «Nützt’s nüt so schadt’s nüd».