Der neu gewählte iranische Präsident Massud Peseschkian drohte diese Woche, dass Israels Intervention in Libanon nicht unbeantwortet bleiben dürfe. In derselben Rede sagte er aber auch, dass Iran bereit sei, seine Beziehungen mit der Welt zu verbessern.
Dies widerspiegle ein Dilemma, in dem sich Iran schon eine Weile befinde, sagt Naysan Rafati, Iran-Analyst bei der Denkfabrik International Crisis Group. Verhalte sich die Regierung in Teheran weiterhin passiv, hätte dies eine Signalwirkung an Israel: Nämlich, dass es ungehindert Ziele angreifen könne.
Auswahl an schlechten Optionen
Eine starke militärische Antwort Irans könnte andererseits die gesamte Region in einen Krieg hineinziehen. «Weder die eine noch die andere Option ist gut für Teheran», sagt Rafati.
Iran sucht also für den Moment zumindest nicht die direkte Konfrontation mit Israel. Was aber nicht heisse, Iran reagiere gar nicht, sagt Rafati weiter. Die Spannungen hätten in der Region zugenommen, besonders im Namen der sogenannten Achse des Widerstandes. Ein Netzwerk nicht-staatlicher, radikaler Gruppierungen in Jemen, Irak, Syrien und Libanon, die alle von Teheran unterstützt werden.
Diese Woche wurden auch aus dem Irak Raketen und Drohnen nach Israel abgefeuert. «Für Iran ist die Unterstützung dieser Gruppen immer Teil einer Strategie, Macht und Einfluss auszuüben, ohne sich direkt einzumischen», sagt Rafati.
Eine Geste an die Region?
Insofern ist das Schweigen Irans ein relatives. Doch eines, das die Führung in Teheran diplomatisch nutzen kann. Denn gerade den arabischen Staaten ist viel an einer Beruhigung des Nahostkonfliktes gelegen. Allen voran Saudi-Arabien, sagt der Spezialist für saudische Aussenpolitik, Aziz Alghashian vom Arab Gulf States Institute.
Das Aufschieben oder gar den Verzicht auf einen Gegenschlag könne Iran als Verhandlungsmittel mit den regionalen Akteuren nutzen. Quasi als Geste an die Region: «Iran lässt die Situation bewusst nicht eskalieren, was aber sind die anderen Staaten nun bereit dafür zu geben?»
Was Iran unbedingt braucht, sind ausländische Investitionen, denn die Wirtschaft leidet unter den Sanktionen des Westens. Geld, das durchaus aus der Region, namentlich von Saudi-Arabien fliessen könnte. Saudi-Arabien und Iran seien schon jetzt zu Handelsbeziehungen bereit, sagt Algashian. Dies, nachdem sie vor anderthalb Jahren offiziell das Kriegsbeil begraben haben.
Zurückhaltung könnte sich auszahlen
Es wäre ein guter Deal für Iran. Die Situation zumindest vordergründig nicht eskalieren zu lassen, um an Investitionen für darbende Wirtschaft zu gelangen. Auch mit dem Westen könnte Iran handelseinig werden, sagen beide Experten übereinstimmend: «Eine allfällige Wiederaufnahme der Nuklearverhandlungen mit den USA könnte an eine deeskalierende Position Irans im aktuellen Konflikt geknüpft werden», erklärt Iran-Experte Rafati.
Insofern könnte beides kombiniert werden: regionale Stabilität im Gegenzug für eine Wiederaufnahme der Atomverhandlungen. Unter dem Strich schaut für Iran womöglich mehr raus, wenn es sich bis auf Weiteres militärisch zumindest direkt zurückhält.