Geduld – das brauchen sowohl Nordmazedonien wie auch Albanien, wenn es um mögliche Beitrittsverhandlungen mit der EU geht.
Seit Jahren möchten die beiden Länder solche Gespräche – immer wieder wurden sie vertröstet. Nordmazedonien – so hiess es – müsse zuerst seinen Namensstreit mit Griechenland beilegen. Und Albanien seine Korruption in den Griff bekommen.
Beide Länder haben ihre jeweiligen Hausaufgaben gemacht. Und trotzdem hiess es diese Woche erneut von Seiten Brüssel: Frühestens im Oktober reden wir darüber.
Warum es harzt und welche politischen Gründe die EU dafür umtreiben, weiss Florian Bieber, Professor für Südost-Europa-Studien an der Universität Graz.
SRF News: Ist diese erneute Verzögerung gerechtfertigt?
Florian Bieber: Es ist nicht ganz klar, was die EU erreichen will. Ich nehme an, es geht in erster Linie darum, der Idee einer Teilung des Kosovo beziehungsweise einer Grenzänderung zwischen Serbien und Kosovo endgültig einen Riegel vorzuschieben und die europäische Initiative für diesen Verhandlungsprozess wieder aufzunehmen.
Eigentlich wäre ja die EU zuständig für den Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo. Das nun Merkel und Macron in Eigenregie diese Konferenz einberufen, heisst, dass die Vermittlung der Europäischen Kommission gescheitert ist.
Ja, das hat zwei Gründe. Erstmal hat es die Europäische Kommission, beziehungsweise Federica Mogherini nicht geschafft, die Gespräche voranzutreiben. Ihr Mandat läuft in wenigen Monaten aus. Und zweitens hat sie, als ihr die Gespräche aus der Hand geglitten, mehr oder weniger die Idee einer Teilung übernommen und akzeptiert. Das hat gerade in Deutschland sehr viel negative Reaktionen hervorgerufen. Deshalb ist die Europäische Union im Moment nicht in der Lage, die Gespräche weiterzuführen.
Diese Teilung wäre ja auf den ersten Blick eine verlockend einfache Idee, die im Raum steht. Eben ein Gebietsabtausch: Ein Gebiet im Norden des Kosovo, das mehrheitlich von ethnischen Serben bewohnt wird, geht an Serbien. Ein Tal im Süden Serbiens, in dem die albanische Bevölkerung die Mehrheit stellt, geht an den Kosovo. Warum kann das keine Lösung sein?
Zunächst leben die meisten Serben nicht in den Gebieten, die an Serbien gehen würden. Aber im Süden des Kosovo leben viele Serben. Deren Status würde durch eine solche Teilung sehr viel prekärer werden. Es gibt für einen derartigen Plan offensichtlich auch keine mehrheitliche Unterstützung im Kosovo, die notwendig wäre.
Gegen eine Teilung spricht sich auch Deutschland aus.
Am meisten Sorge bereitet Deutschland und vielen Beobachtern, dass diese Lösung eine Art Domino-Effekt auslösen könnte – vielleicht nicht sofort, aber langfristig. Damit signalisiert man, dass Grenzen nach ethnischen Kriterien gezogen werden sollten: Wo eine Gruppe lebt, sollte man leben. Und wenn man eine Minderheit ist, sei man mehr oder weniger am falschen Platz. Diese Botschaft ist sehr gefährlich für die Region und auch jenseits davon.
Die USA würden aber für diese Lösung Hand bieten.
Nicht nur die USA, auch einige andere EU-Mitgliedsstaaten. Gerade deshalb ist Frankreich wohl heute eingeladen worden. In den USA regiert im Moment die Idee, dass jeder Deal ein guter Deal ist, wenn es ein Deal ist. Das ist eine eher ambivalente und auch keine sehr konstruktive Sichtweise der Dinge.
Was wäre denn eine konstruktive Sichtweise?
Man muss sich neue Ansätze überlegen. Es gibt verschiedene Ideen, die im Moment zirkulieren: Von einer erhöhten serbischen Rolle im Norden des Kosovo, aber ohne dass es Teil Serbiens wird. Man muss sich im Prinzip auf das Brüsseler Abkommen berufen, das zwischen beiden Staaten getroffen wurde. Dies sieht zum Beispiel eine Autonomie oder eine gewisse Art der Selbstverwaltung der serbischen Gemeinden vor.
Könnte so Dynamik in die Vermittlung gebracht werden?
Man darf nicht vergessen: Das Problem ist nicht nur die Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo. Fünf EU-Mitgliedsstaaten erkennen den Kosovo nicht an. Es geht dem Kosovo ja nicht nur darum, von Serbien anerkannt zu werden. Es geht auch darum, dass der Kosovo wegweisend sein wird, wie der EU Beitrittsprozess vorankommt. Dafür braucht die EU eigentlich erst einen Ansatz, wie Kosovo überhaupt von Spanien und den anderen Staaten anerkannt wird, damit es langfristig ein EU-Mitglied werden und bessere Beziehungen haben kann mit der Europäischen Union. Eine Beziehung mit Serbien ist da vielleicht hilfreich, aber nicht der einzige Schritt. Da braucht man doch einen sehr viel kreativeren und breiteren Zugang.
Und dieser ist im Moment nicht vorhanden.
Nein. Die Hoffnung ist, dass der Versuch von Deutschland und Frankreich, sich aktiver zu engagieren, neue Ideen hervorbringt und diese Sache ernsthaft vorantreibt. Denn letztlich ist die Idee einer Grenzöffnung auch deshalb akut geworden, weil der europäische Verhandlungsprozess stagnierte. Serbien und Kosovo hatten das Gefühl, dass die Verhandlungen ins Leere laufen. Deshalb ist es schon notwendig, der Idee einer Teilung eine Alternative entgegenzustellen, als nur zu sagen: Wir machen einfach so weiter beim Status quo.
Es gibt ja ein positives Beispiel für eine Konfliktlösung aus dieser Region, nämlich Nordmazedonien. Das Land schaffte es, den Namensstreit mit Griechenland zu lösen. Wird das nun honoriert, könnte an der aktuellen Balkan-Konferenz in Berlin vielleicht ein Datum für EU-Beitrittsgespräche festgelegt werden.
Das wäre sicherlich ein wichtiges Signal. Bisher gab es kaum eine wirkliche Würdigung dieses Abkommens für Nordmazedonien. Frankreich hat auf die Bremse gedrückt, was nichts mit Nordmazedonien zu tun hat, sondern rein mit französischer Innenpolitik. Es wäre schon ein grosser Erfolg, wenn es Deutschland gelingen würde, Frankreich umzustimmen und ein Datum für den Beginn der Gespräche festzulegen.
Ist das Ihrer Meinung nach realistisch?
Leider glaube ich, dass das schwer erreichbar ist. Im Vorfeld der Europawahlen hat die französische Regierung grosse Angst, von Euroskeptikern überholt und in Bedrängnis gebracht zu werden. Da sind Beitrittsgespräche aktuell wohl kein Thema auf der französischen Polit-Agenda.