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EU-Gipfeltreffen in Brüssel Europäische Kakofonie in der Corona-Politik

Die EU-Länder tun sich schwer, eine gemeinsame Linie in der Pandemie-Bewältigung zu finden. Einmal mehr.

Die unberechenbare Dynamik der Covid-19-Pandemie war das dominierende Thema am EU-Gipfeltreffen der 27 Staats- und Regierungschefs in Brüssel.

Die Spezialistinnen in der EU-Kommission gehen davon aus, dass die Omikron-Variante des Virus in Europa schon Mitte Januar alles dominiert. Jede Ministerpräsidentin, jeder Regierungschef in der EU sucht einen eigenen Weg, die sich abzeichnende Welle doch noch abzuwenden.

«Es ist zum Verzweifeln»

Ein Rennen gegen die Zeit, sagte der Regierungschef von Griechenland. Zum Verzweifeln, sagte Xavier Bettel, Luxemburgs Premier. Er war ehrlicher als alle anderen. «Das ist das Schreckliche an dieser Krise: Man kann nichts planen.»

Italien war das erste Land, das eigenmächtig reagierte auf das Unplanbare, schon vor der Koordinierungssitzung: Keine Einreise mehr ohne Corona-Test, unabhängig vom Impfstatus.

Die neue Regierungschefin von Schweden, Magdalena Andersson, zeigte Verständnis, angesichts der jüngsten Entwicklungen. Auch das liberale Schweden führte heute eine Zertifikatspflicht für Reisende aus anderen nordischen Staaten ein. Eine Premiere.

Die meisten Staaten halten den italienischen Weg aber für ungeeignet, denn er reduziere den Anreiz, sich impfen zu lassen, wenn ein Zertifikat nicht mehr ausreicht, um einreisen zu können.

Impfgraben zwischen West und Ost

Zwei Drittel der Menschen in der EU sind vollständig geimpft. Die Unterschiede sind aber von Land zu Land gross. In Kroatien, der Slowakei und Rumänien sind es immer noch deutlich weniger als die Hälfte, in Bulgarien sogar nur ein Viertel der Bevölkerung. Unter diesen Voraussetzungen einen gemeinsamen Weg zu finden, unmöglich.

Impfen. Einmal, zweimal, sofort auch dreimal. Nur so finde Europa einen Weg aus dieser Pandemie, unterstrich der spanische Ministerpräsident, Pedro Sanchez. Spanien hat eine der höchsten Impfquoten Europas. «Jetzt müssen wir alle Menschen impfen, ab fünf Jahren, in ganz Europa.»

Das Thema Impfpflicht sprachen offenbar mehrere Regierungsvertreter an. Alle machten aber einen grossen Bogen um eine verbindliche Entscheidung. Immer mehr Länder schränken die Bewegungsfreiheit von EU-Bürgerinnen und Bürgern ein. Schon wieder.

Nicht schon wieder, klagte einmal mehr – und etwas einsam – Xavier Bettel: «Ich glaube nicht, dass Reisebeschränkungen die richtige Antwort sind. Seit zwei Jahren müssen wir mit der Pandemie leben. Jetzt den Leuten zu sagen, dass sie zuhause bleiben sollen und gar nichts mehr passieren darf... Wir müssen auch auf die mentale Gesundheit der Menschen achten – irgendwann reichts.»

Lange Aussprache, kurze Erklärung

Bei allen Widersprüchen: In einem Punkt waren sich dann doch noch alle einig – beim Boostern, der dritten Impfung, muss es nun schnell gehen. Dringlich sei diese. Der einzige Änderungsantrag. In Belgien können sich ab sofort alle in die Reihe stellen, deren zweite Impfung mehr als vier Monate zurückliegt.

Andere EU-Staaten wollen mitziehen. Ansonsten bleibt die Schlusserklärung des EU-Gipfels kurz. Viel kürzer als die Aussprache. Es bedarf weiterer koordinierter Anstrengungen; etwaige Beschränkungen sollen verhältnismässig bleiben und auf objektiven Kriterien beruhen.

Das konnten alle unterzeichnen. Zumal ja jedes EU-Land nun selber bestimmen kann, was es unter verhältnismässig versteht und was unter dringlich.

Echo der Zeit, 16.12.2021, 18 Uhr

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