Mit dem Krieg in der Ukraine ist Indien zurück im Fokus der internationalen Gemeinschaft. Verschiedene Staats- und Regierungschefs haben das Land in den letzten Wochen und Monaten besucht. Doch obwohl das Land von allen Seiten umworben wird: Indien will im Ukraine-Konflikt vollkommen neutral bleiben.
Es pflegt darum weiterhin enge wirtschaftliche Verbindungen zu Russland. Doch die Regierung von Ministerpräsident Narendra Modi ist auch auf gute Beziehungen zur EU angewiesen. Seit Sonntag ist die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, zu Gast in Indien.
Möglichkeiten für beide Parteien
Vor einem Jahr habe von der Leyen bereits von ungenutztem Potenzial gesprochen, weiss Natalie Mayroth. Sie ist freie Korrespondentin in Mumbai. Schon lange stehe im Raum, dass es ein Freihandelsabkommen zwischen Indien und der EU geben soll. «Das lag bis vor letztem Jahr lange Zeit auf Eis. Von der Leyen hatte digital angekündigt, das mit Modi wieder aufleben zu lassen.»
Interesse an guten Beziehungen haben beide Seiten. Indien sei interessiert an europäischen Autos und Maschinen. «Indien würde gerne mehr im Land produziert haben», sagt Mayroth. «Indien schlägt den EU-Ländern vor, sie sollen bei ihnen produzieren oder zumindest die Maschinen zusammenschrauben, dann könnten sie der EU mit den hohen Importzöllen entgegenkommen.»
Weiter sei die EU für Indien in den Bereichen Lebensmittel aus der EU, Investitionen und IT interessant. «Natürlich könnte man den gemeinsamen Handel stärken, auch vor dem Hintergrund, dass die Welt sehr abhängig von China ist», so Natalie Mayroth.
Von IT bis Weizen
Für die EU sei Indien interessant als Binnenmarkt. «Es gibt einen mehr oder weniger freien Markt.» Mit der jungen Bevölkerung habe man eine Kaufkraft. Weiter ist Indien auch Agrarhersteller. «Indien würde gerne mehr Weizen exportieren, was der EU in der aktuellen Krise zugutekommen könnte», sagt Mayroth. Zudem sei der Pharmabereich auf sehr hohem Niveau und die Fachkräfte im IT-Sektor seien günstiger als in der EU.
Trotz der Notwendigkeit nach funktionierenden Beziehungen mit den EU-Staaten pocht Indien weiterhin auf seine Neutralität. Dass Premier Narendra Modi die Lage zwar als besorgniserregend einschätze, sich aber nicht einmischen wolle, gehe auf eine Richtlinie seit der Gründung Indiens zurück, erklärt Natalie Mayroth.
«Indien wollte damals nicht in den Konflikt zwischen Westen und Osten geraten. Und das ist eine Richtung, die Indien weiter einschlägt.» Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle. «Einer ist die Verteidigung und Sicherheit. Russland ist ein alter Partner Indiens und man möchte das nicht auf die Karte setzen.» Zudem äusserte sich der indische Aussenminister zu den Ölkäufen: «Er sagte, dass die EU wahrscheinlich an einem Nachmittag mehr Öl importiert als Indien in einem Monat.»
Die Korrespondentin in Mumbai rechnet nicht damit, dass Ursula von der Leyen den Regierungschef Narendra Modi zu einer härteren Haltung gegenüber Russland bewegen könnte. «Es wird schwierig, Indien jetzt wirklich zu einem Richtungswechsel zu bewegen. Prinzipiell nehme ich an, dass Indien versucht, weiter neutral zu bleiben.»