Serbien erlebt einen kleinen Wirtschaftsboom: Grund dafür sind die über 200'000 Russinnen und Russen, die seit Beginn des Krieges nach Serbien ausgewandert sind. Die meisten sind Kritiker von Präsident Putin oder Leute, die nicht in den Krieg ziehen wollten.
Belgrad hat der UNO-Resolution gegen den russischen Einmarsch zwar zugestimmt. Da sich Serbien den westlichen Sanktionen gegen Russland aber nicht angeschlossen hat, können russische Staatsbürger frei nach Serbien einreisen.
Mehrheitlich handelt es sich bei den Auswanderern um Männer – und sie sind in Serbien sehr willkommen: «Meist sind sie gut ausgebildet und fassen in Serbien rasch Fuss», berichtet Peter Balzli, Osteuropakorrespondent von SRF. «Und Russen sind in Serbien auch generell sehr beliebt.»
Serbien unterhält traditionell enge Bande zum slawischen Bruderstaat Russland: Sprachlich und kulturell ist man verwandtschaftlich verbunden, auch die gemeinsame orthodoxe Religion bildet einen sozialen Kitt zwischen den Menschen. Diese althergebrachte Freundschaft brach sich auch während der Jugoslawien-Kriege Bahn, als sich Russland auf die Seite der Serben stellte. «Namentlich, als die Nato 1999 Belgrad bombardierte», wie Balzli erinnert.
Höfliches Aneinander-Vorbeireden
Allerdings: Viele der Russinnen und Russen befürworten Putins Politik nicht. Dies etwa im Gegensatz zu diversen serbischen Boulevardblättern, die Narrative des Kremls ungefiltert hinaustragen – etwa dasjenige, dass die Ukraine «entnazifiziert» werden müsse, wie die deutsche «Tagesschau» zuletzt berichtete.
Balzli spricht von einer paradoxen Situation: «Die Einreisenden sind meist aus Russland geflüchtet, weil sie gegen Putin und den Krieg sind oder nicht eingezogen werden wollen. Gleichzeitig wissen sie, dass die Mehrheit der Serben für Putin und seinen Krieg ist.»
Der Krieg in der Ukraine und Putins Herrschaft sind keine Themen, mit denen die russischen Auswanderer hausieren gehen. Sie würden sogar tunlichst vermeiden, darüber zu sprechen, sagt der SRF-Korrespondent. «Das führt dazu, dass die Einheimischen und die Eingewanderten meist höflich aneinander vorbeireden, um Spannungen zu vermeiden.»
In Russland ist das «Z» als Zeichen für die Unterstützung der russischen Invasion in der Ukraine allgegenwärtig. Auch in Serbien sei es inzwischen überall anzutreffen, so Balzli. Gelegentlich komme es zu Konflikten, wenn Kreml-kritische Russinnen und Russen die Kriegssymbole übersprayen oder sogar öffentlich gegen den Krieg demonstrieren.
Solche Unmutsbekundungen dürften nicht nur den Einheimischen auffallen. Denn laut Balzli haben sich auch russische Geheimagenten, die in Westeuropa ausgewiesen wurden, in Serbien niedergelassen. Dort würden sie nun ihre Landsleute bespitzeln.
Unser Verstand ist in Europa, unser Herz ist in Russland.
Für das Verhältnis zwischen Belgrad und Moskau hat es keine negativen Auswirkungen, dass sich in Serbien russische Regimekritiker tummeln, schliesst der SRF-Korrespondent. «Die Beziehungen sind und bleiben gut.»
Ausdruck der brüderlichen Beziehungen ist das Bonmot des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić: «Unser Verstand ist in Europa, unser Herz ist in Russland.» Serbiens aussenpolitischer Beziehungsstatus ist derzeit offenkundig: kompliziert.