Die Regierung in Peru empfiehlt als Massnahme gegen das Coronavirus regelmässiges Händewaschen. Nur: In Peru haben acht Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser, an vielen Orten fehlen Abwasser-Systeme. Sie können nicht Händewaschen.
Dieses Beispiel zeigt exemplarisch die Herausforderungen, denen sich Südamerika in dieser Pandemie gegenübersteht. Die Regierung mag zwar strenge Massnahmen verordnet haben, die Menschen aber widersetzen sich ihnen. Denn sie haben keine andere Wahl.
Ausgangssperren keine Option
Mehr als die Hälfte der Beschäftigten arbeiten in Südamerika im informellen Sektor. Es handelt sich um Hausangestellte oder Strassenhändler. Wer heute nicht fremde Wohnungen putzt, auf der Strassenkreuzung Maistaschen verkauft oder auf einem Parkplatz Autos einweist, hat morgen nichts zu essen. Ausgangssperren sind für sie keine Option. Sie müssen das Haus verlassen.
Und ist das Virus einmal in einem der Armenviertel angekommen, hat es dort meistens leichtes Spiel. Die Vermeidung von Körperkontakt ist in einer Favela, in dem die Bewohner auf engstem Raum zusammenleben, schwierig.
Brasilien-Mutation breitet sich aus
Die Virus-Mutation aus Brasilien ist ein weiterer Grund für die steigenden Corona-Fallzahlen. Die Mutation verteilt sich auf dem ganzen Kontinent. Das Risiko wurde immer schon als hoch eingestuft, da Brasilien mit zehn südamerikanischen Ländern gemeinsame Grenzen hat.
In Argentinien wurden zum ersten Mal seit Ausbruch der Pandemie mehr als 20’000 neue Fälle pro Tag bestätigt. Längst wird über einen neuen Lockdown diskutiert. Doch die einzelnen Provinzen können sich nicht auf Massnahmen einigen.
Das Nachbarland Chile hat zwar in Rekordzeit mehr als ein Drittel seiner Bevölkerung geimpft. Trotzdem steigt die Zahl neuer Fälle immer noch. Und die Intensiv-Betten werden knapp. Der peruanische Gesundheitsminister sagte, dass Fälle der Mutation aus Brasilien «fast überall in Peru» entdeckt wurden. Die Mutation wurde auch in Uruguay und Paraguay bestätigt, beide Länder registrieren eine Rekordzahl an täglichen Todesfällen.
Temperaturen sinken
Der Sommer auf der Südhalbkugel ist zu Ende, jenseits des Äquators fallen die Temperaturen nun wieder, mehr Menschen treffen sich in geschlossenen Räumen, Fenster bleiben öfter mal geschlossen. Gleichzeitig sind viele Menschen nach teils extrem strengen und monatelangen Lockdowns im vergangenen Jahr kaum noch bereit, ihr Leben nun nochmals einzuschränken. Das wissen auch die Regierungen der jeweiligen Länder und scheuen darum neue Massnahmen.
Das kritisiert die Direktorin der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (PAHO), Carissa Etienne: «Wir sehen, dass die Bevölkerung in der Region ihre Mobilität erhöht und nicht zu Hause bleibt, um sich und andere zu schützen.»
Worauf wir wieder bei den strukturellen Problemen sind. Die Corona-Quarantäne wird für viele zur Überlebensfrage. Nicht wegen des Virus. Wegen des Hungers.