Eine von alten Bäumen gesäumte Durchgangsstrasse, daran aufgereiht ein paar Häuser, verwitterte Scheunen. Kein Laden, keine Bäckerei, kein Café. Auf den ersten Blick unterscheidet sich Feldheim, eineinhalb Autostunden südlich von Berlin, nicht von anderen verschlafenen Nestern in Brandenburg. Wären da nicht die unzähligen riesigen Windräder, die am Dorfrand in den Himmel wachsen.
Begonnen hat alles Anfang der 1990er-Jahre mit der fixen Idee eines Bauingenieur-Studenten. Michael Raschemann hatte es sich in den Kopf gesetzt, Windräder zu bauen. Das auf einem Hochplateau gelegene Feldheim schien ihm dafür ideal. Er sprach bei der Gemeinde vor, die damalige Bürgermeisterin war angetan von der Idee. Ein Privatmann verpachtete Raschemann das Land, 1995 gingen die ersten vier Windkraftanlagen in Betrieb. Heute ist Feldheim die erste und einzige energieautarke Gemeinde Deutschlands.
Vom produzierten Strom hatten die Feldheimer vorerst allerdings nichts, er wurde ins öffentliche Netz eingespeist. Der örtliche Versorger hatte keinerlei Interesse daran, seine Stromleitungen diesen Selbstversorgern zur Verfügung stellen.
Als dann die Agrargenossenschaft 2008 an einer Biogasanlage herumstudierte, um damit die Schweineställe zu heizen, entstand der Plan, neben Strom auch Wärme vor der Haustür zu produzieren. «Das alles kann man in so einem kleinen Dorf natürlich schwer heimlich machen», scherzt der Treuenbrietzener Bürgermeister Michael Knape. «Und die Dorfbewohner waren sehr interessiert, da mitzumachen.»
Nach drei Bürgerversammlungen war fast allen klar: Es rechnet sich, ein eigenes Wärmenetz zu bauen. Und wenn die Strassen dann schon mal aufgerissen seien, dann könne man auch gleich eigene Stromleitungen verlegen.
Und so nahm es das Dorf in die Hand: Mit Ausnahme von zwei Haushalten beteiligten sich alle mit 3000 Euro Eigenkapital. Der Rest für das 1.7 Millionen Euro teure Projekt stammte aus Fördergeldern des Landes Brandenburg und der EU.
Wir hatten den richtigen Riecher.
Seit 2010 versorgt sich Feldheim vollständig unabhängig mit erneuerbaren Energien – und spart dazu Jahr für Jahr rund 200‘000 Liter Heizöl. «Wir hatten den richtigen Riecher», sagt Knape nicht ohne Stolz. «Wir haben Land, wir haben Biomasse ohne Ende hier. Der Wind weht umsonst und mit Sonne sind wir auch nicht schlecht gesegnet. All diese erneuerbaren Ressourcen sind einsetzbar und wir haben es getan.»
Es ist eine autarke, unabhängige Energieversorgung, die durch konsequentes Mitspracherecht und Partizipation überhaupt erst möglich wurde und von der heute alle profitieren.
Für die Bauern der Agrargenossenschaft Fläming, Nachfolgerin der früheren landwirtschaftlichen Genossenschaft aus DDR-Zeiten, ist die Beteiligung attraktiv. Sie bewirtschaften 2000 Hektar Land, halten 350 Milchkühe und 200 Schweine. Als 2008 die Roggenpreise in den Keller sackten, kam ihnen der Biogas-Boom gelegen.
«Das hat die Landwirte schon gereizt, weil man über die Verstromung der Rohstoffe eine gute Vergütung gekriegt hat», erzählt Geschäftsführer Sebastian Herbst. Es lohnte sich, eine Biogas-Anlage zu betreiben, die mit Gülle, Roggenschrot und Maissilage Biogas produziert. Das integrierte Blockheizkraftwerk erzeugt daraus Strom und mit der dabei anfallenden Wärme wird Wasser auf rund 80 Grad erhitzt und ins ortseigene Fernwärmnetz einspeist.
Die Feldheimer sind heute Teilhaberinnen und Teilhaber des wohl kleinsten Stadt- oder eher Dorfwerks Deutschlands, der Feldheim Energie GmbH. Der Selbstkostenpreis für die angeschlossenen Verbraucher liegt bei zwölf Cent für die Kilowattstunde Strom, bei 7.5 Cent für die Kilowattstunde Wärme. Zum Vergleich: der aktuelle Durchschnittspreis in Deutschland für eine Kilowattstunde Strom liegt bei rund 32 Cent, für eine Kilowattstunde Gas bei 20 Cent.
«Heute sind wir einfach froh und glücklich darüber, dass wir hier selbst für unseren Strom und Wärmebedarf vor Ort verantwortlich sind und damit auch die Preise selbst bestimmen können», betont Doreen Raschemann. Die Ehefrau des Windpark-Pioniers Michael Raschemann ist Vorsitzende des Fördervereins Neue Energien Forum Feldheim.
Im Besuchs- und Ausstellungszentrum empfängt sie Gäste aus aller Welt, die erfahren wollen, wie man nicht nur die Energiewende schafft, sondern diese auch noch rentabel macht. Denn die Feldheimer sässen sozusagen zweimal am Tisch, wie es Bürgermeister Knape formuliert: «Als Kunde, der möglichst wenig bezahlen möchte. Und als Unternehmer, der etwas verkaufen möchte. Sie können darüber nachdenken, ob sie als Kunde oder als Unternehmer lieber gewinnen.» Das Schöne daran sei, dass dies nicht die Politik, nicht der Bürgermeister, sondern allein die Feldheimerinnen und Feldheimer entscheiden könnten.
Das inzwischen ausgeklügelte Feldheimer Energie-Gesamtkonzept erzielt einen ansehnlichen Energieüberschuss: Die 55 Windräder allein speisen Strom für über 50‘000 Haushalte ins öffentliche Netz ein. Der Solarpark deckt den jährlichen Bedarf von rund 600 Personen-Haushalten.
Doch schon in der nahen Kleinstadt Treuenbrietzen nebenan haben sie nichts davon. «Gut 800 Meter von meinem Rathaus entfernt geht die meiste Energie aus Feldheim ins grosse deutsche Netz, und ich darf da nicht ran», ärgert sich Bürgermeister Michael Knape. Das zeige ihm, dass das mit der Energiewende kein technisches, sondern ein rechtliches und vor allem ein politisches Problem sei. Die zentrale Energieversorgung in Deutschland sei seit Jahrzehnten ein Mantra.
Dezentrale, kleine Systeme
Feldheim zeige nun aber, dass die Energiewende aus einem dezentralen Gedankenansatz heraus möglich sei. Dabei gehe es gar nicht um Autarkie. «Autarke Lösungen haben ja immer so ein bisschen ein ‹Gschmäckle›, weil da dann welche sind, die etwas haben, was alle anderen nicht haben», so Knape. Die dezentrale Energieversorgung wird oft als Lösung für die Zukunft bezeichnet. Knape schwebt eine Energieversorgung aus vielen kleinen, nahen Systemen vor. Feldheim macht vor, wie das geht.