Vor dem Hotel «Chez Valérie» in Fessenheim sitzen zwei Velo-Touristen unter einem Sonnenschirm. In der Gaststube weist die Wirtin auf die leere Bar: «Hier war früher abends jeder Platz besetzt, und auch die Hotelzimmer waren stets gut belegt», sagt sie. Jetzt laufe das Geschäft wegen der Pandemie schlecht.
Der Klagen aus dem Gewerbe kennt Gemeindepräsident Claude Brender: «Aber der Effekt der AKW-Schliessung für die Gemeinde ist im Gefolge der Pandemie kaum sichtbar.» Er erinnert an monatelang geschlossene Restaurants und rückläufige Detailhandelsumsätze. All dies dürfte also mehr eine Folge der Pandemie sein, denn ganz Frankreich kaufe heute sparsamer ein.
Zulauf in der Pandemie
Zugleich zeigen sich die Folgen der Pandemie auch positiv: Seit Beginn der Krise zogen viele Städter aufs Land – auch nach Fessenheim. «Die Bevölkerung hat trotz Arbeitsplatzverlust leicht zugenommen», sagt Brender. Er hatte befürchtet, dass mit dem Wegzug von AKW-Angestellten einzelne Strassenzüge zu Phantom-Quartieren verkommen könnten.
Doch freie Liegenschaften wurden zu guten Preisen verkauft. Und für die Häuser der AKW-Angestellten gibt es sogar eine Warteliste. Zuzüger kämen nicht nur aus dem Elsass, sondern auch aus dem angrenzenden Bundesland Baden-Württemberg – wegen der deutlich günstigeren Grundstücke und Liegenschaften.
Steuern fehlen
Schmerzhaft sind die Folgen der AKW-Schliessung dagegen für die Gemeinde. Die Einnahmen sind eingebrochen. Électricité de France (EDF) lieferte früher Gewerbesteuern an den Gemeindeverband Haut-Rhin-Brisach und seine 29 Gemeinden ab. 15 Millionen Euro jährlich, davon zwei Millionen an Fessenheim.
Diese Steuereinnahmen fehlen in der Gemeindekasse. Aber sie muss trotzdem Beiträge an einen nationalen Ausgleichsfonds entrichten, der bei der letzten Reform der Gewerbesteuer geschaffen wurde. Gehörten Fessenheim und Nachbargemeinden einst zu den Gewinnern, müssen sie nun Ausgleichszahlungen leisten, obwohl keine Gewerbesteuern mehr anfallen.
«Es ist eine Art geschlossenes System, das keine Regierung verändern wollte – ob links oder rechts. Aber wir werden bestraft und müssen voraussichtlich in den nächsten Jahren zurückzahlen, was uns das AKW während 40 Jahren eingebracht hat», so Brender.
Konkurs der Gemeinden befürchtet
Über dem Eingang des Gemeindehauses hängt ein Transparent, das vor einem Konkurs der Gemeinden warnt und vom Staat Hilfe fordert. Mit den Transparenten wollen die Behörden des Gemeindeverbandes Haut-Rhin-Brisach Ende Juni in Paris vor der Nationalversammlung protestieren.
Um den drohenden Konkurs zu vermeiden, habe die Gemeinde Investitionen zurückgestellt und Sanierungen hinausgeschoben, sagt Brender. Wenn die letzten Bauten des Kraftwerks abgebrochen sind, fällt auch die halbe Million an Grundstückssteuern weg, welche EDF noch bezahlt.
Darum hofft die Gemeinde, dass der Stromkonzern auf dem Gelände einen Technologiepark einrichtet – zum Recycling von Maschinen aus anderen Kraftwerkanlagen, die in Zukunft abgeschaltet werden.
Verlust von «Juwel» wiegt schwer
Brender versteckt nicht, dass ihn die Schliessung von Fessenheim noch immer ärgert: Ein schwerer Fehler, den er weder Hollandes Sozialisten noch «La République en Marche» und Macron verzeihen könne: «Da wurde ein Juwel der französischen Industrie geschlossen – aus rein wahltaktischen, politischen Überlegungen.»