Bis kurz vor Mitternacht versuchten am Freitagabend noch hunderte Menschen über die Grenze nach Finnland zu gelangen. Unter ihnen waren auch Familien mit kleinen Kindern. Dabei kam es immer wieder zu dramatischen Szenen.
So zeigt ein Video vom öffentlich-rechtlichen finnischen Fernsehen YLE, wie eine Gruppe von für die kalte Jahreszeit ungenügend gekleideten Menschen mit Kindervelos von Osten her auf den finnischen Grenzposten Niirala zufährt.
Dort versuchen einige, die bereitstehende Linie von finnischen Grenzsoldaten zu durchbrechen. Es kommt zu einem Handgemenge und dem Einsatz von Pfefferspray. Im Hintergrund ist zu sehen, wie hinter der Demarkationslinie zu Russland die Grenzanlagen geschlossen werden – um eine Rückkehr der Menschen zu verunmöglichen.
«Hybride Kriegsführung»
Der finnische Ministerpräsidenten Petteri Orpo erklärte an einer Medienkonferenz diese Woche, dass Russland flüchtende Menschen im Sinne einer hybriden Kriegsführung missbrauche – um Finnland zu destabilisieren: «Wir sehen, dass die russischen Behörden diese Menschen ohne gültige Papiere ins Grenzgebiet transportieren. Deshalb haben wir beschlossen, die südlichen Grenzübergänge für drei Monate zu schliessen», sagte der konservative finnische Ministerpräsident.
Seit Freitagnacht sind nun nur noch einige wenige entlegene Grenzstationen zu Russland im arktischen Norden Finnlands für den Personenverkehr geöffnet. Am Samstag trafen am Grenzposten Vartius die ersten 28 Flüchtlinge ein.
An einer Medienkonferenz am Samstagnachmittag erklärte der Chef der Grenzbehörden, Mika Rytkönen, dass die Behörden niemanden, der es über die Grenze schafft, nach Russland abschieben werde: «Viele Menschen, die jetzt nach Finnland kommen, sind gesundheitlich angeschlagen und unterkühlt. Sie haben das Recht, hier ein Asylgesuch zu stellen», betonte der Chef der Grenzbehörden.
Aus finnischer Sicht handelt es sich im aktuellen Fall um eine russische Retourkutsche für den finnischen Nato-Beitritt. Im Unterschied zu früheren Krisen an der Grenze fehlt Helsinki jetzt aber der Ansprechpartner auf der östlichen Seite. Denn per Ende Oktober hat Moskau den seit Jahrzehnten geltenden Grenzvertrag mit Helsinki gekündigt.
In diesem Abkommen verpflichteten sich beide Seiten, keine Personen ohne Berechtigung ausreisen zu lassen. Zudem trafen sich die jeweiligen Chefs der Grenzposten und Abschnitte regelmässig zu formalen Aussprachen, die nicht selten mit einem gemeinsamen Saunabesuch abgerundet wurden.
Aus diesem Miteinander wird nun als Folge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine auch im hohen Norden zunehmend ein Gegeneinander: Finnland hat begonnen, die grüne Grenze mit einer festen Grenzzaunanlage abzusichern. Und an den vier südlichsten und am meisten frequentierten Grenzposten zwischen Finnland und Russland bleiben nun die Schlagbäume bis mindestens Mitte Februar ganz geschlossen.