Der gestürzte syrische Machthaber Baschar al-Assad soll für zahlreiche brutale Verbrechen verantwortlich sein: Zehntausende Tote und Verschwundene, Folter, Giftgasangriffe. Wegen dieser Verbrechen hat Frankreich bereits vor über einem Jahr einen internationalen Haftbefehl gegen Assad erlassen. Nun ist der gestürzte Präsident nach Russland geflüchtet. Trotz seiner Flucht hoffen viele seiner Opfer, dass Assad vor Gericht gestellt wird. Wie realistisch ist das? Politologin und Syrienkennerin Bente Scheller schätzt ein.
SRF News: Ist Assad nach Russland geflüchtet, um den Gerichten zu entkommen?
Bente Scheller: Russland war für Assad eine naheliegende Wahl. Russland war selbst beteiligt an einer Reihe der Kriegsverbrechen in Syrien, wie das Aushungern ganzer Landstriche und Angriffe auf medizinische Einrichtungen. Moskau hat ein Eigeninteresse daran, Assad zu schützen – auch, um sich selbst zu schützen.
Unter welchen Umständen kann Assad den Prozess gemacht werden?
Moskau wird ihn nicht ausliefern. Sollte Assad ein Land mit einem Auslieferungsabkommen mit Frankreich betreten, könnte er überstellt werden. Angesichts der Schwere seiner Verbrechen könnte eine recht grosse Gruppe von Staaten dazu gewillt sein.
Die Möglichkeiten, ihm den Prozess in Abwesenheit zu machen, sind begrenzt.
Es gibt auch internationalen Druck, ein Gericht für den Einsatz von Chemiewaffen zu erschaffen. Das Thema bewegt und es besteht die Möglichkeit, dass dieses Verbrechen geahndet wird, sollte Assad westliche oder andere geneigte Staaten betreten.
Wäre ein Prozess in Abwesenheit möglich?
Die Möglichkeiten, ihm den Prozess in Abwesenheit zu machen, sind begrenzt. Es wäre für all die Betroffenen aber wohl sehr viel zufriedenstellender, wenn die Verantwortlichen bei einem Verfahren Rede und Antwort stehen müssen. Die Betroffenen könnten zu Gehör bringen, was ihnen widerfahren ist und nach Antworten suchen.
Wie gut funktionieren die syrischen Gerichte?
Die syrischen Gerichte haben immer sehr staatstragend geurteilt. Es wird ein langer Prozess sein, die Juristinnen und Juristen von diesem Pfad wegzubewegen. Allerdings verfügen viele Menschen in Syrien über eine sehr gute Ausbildung. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass innerhalb des syrischen Rechtssystems seriöse und unabhängige Verfahren etabliert werden.
Wie realistisch ist es, dass Assad jemals vor Gericht steht?
Das steht in den Sternen. Vieles hängt davon ab, ob er in Russland bleibt. Ich kann gut verstehen, dass bei vielen der Wunsch besteht, das gerichtlich aufzuarbeiten. Und ich kann das nur gutheissen; diese Gerechtigkeit ist das Gegenmittel gegen Rache. Vielleicht ist es gut, dass Assad momentan in Sicherheit vor Rache ist. Das eröffnet überhaupt erst die Chance, ihn in der Zukunft vor Gericht zu stellen. Auch wenn es nicht wahrscheinlich ist, dass es geschehen wird, lässt es zumindest einen Hoffnungsschimmer offen.
Das Gespräch führte Reena Thelly.