Darum geht es: Die offizielle Parteilinie von Labour-Chef Keir Starmer lautet: Israel hat jedes Recht, sich nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober zu verteidigen. Ein Waffenstillstand würde demnach nur den Terroristen nützen. Bei einer Abstimmung am Mittwoch, bei der es darum ging, ob die britische Regierung einen Waffenstillstand oder bloss humanitäre Kampfpausen fordern soll, hielt sich rund ein Drittel der Labour-Abgeordneten allerdings nicht an Starmers Linie. 56 Abgeordnete stimmten für einen sofortigen Waffenstillstand. Die BBC spricht von einer «Rebellion» in den Reihen von Labour.
Starmers Rolle: Seit Monaten befindet sich die Labour-Partei im Umfragehoch, Starmer wird schon als nächster Premierminister gesehen. Deshalb positioniert sich der Labour-Chef nicht mehr bloss als Oppositionsführer, sondern längst als nächster Premierminister, der sich auch aussenpolitisch prominent äussert. Zudem versucht Starmer, sich auch gegenüber den USA ins rechte Licht zu rücken. Doch: «Diese Gesten kollidieren derzeit ziemlich frontal mit den humanitären Anliegen der Parteibasis», stellt SRF-Korrespondent Patrik Wülser fest.
Spezialfall Grossbritannien: «Grossbritannien ist durch seine imperiale Vergangenheit historisch mit dem Nahostkonflikt verbunden», so Wülser. Und durch die koloniale Vergangenheit sei das Land inzwischen eine multiethnische Gesellschaft geworden. «Entsprechend sind die Gräben, welche der Nahostkonflikt aufgerissen hat, spürbar.» Für Labour besteht das Problem insbesondere darin, dass viele ihrer Wählerinnen und Wähler aus Kreisen von Einwanderern und deren Nachkommen stammen. «Deshalb ist es politstrategisch äusserst heikel, wie sich Labour-Chef Starmer in der Nahostfrage positioniert», so Wülser.
Problem für Labour: Keir Starmer übernahm nach der krachenden Wahlniederlage 2019 eine ramponierte Labour-Partei von Jeremy Corbyn, dem Antisemitismus vorgeworfen worden war. Starmer entgiftete die Partei und stellte sie neu auf – doch der Krieg im Nahen Osten reisst jetzt wieder Gräben auf. Derzeit sei die bei der Unterhausabstimmung zutage getretene Spaltung von Labour noch kein riesiges Problem für Starmer, sagt Korrespondent Wülser. «Aber je nachdem, wie sich der Krieg entwickelt, könnte das Eis für Starmer durchaus dünn werden.»