Es sind surreale Szenen in dem PR-Video von Biotexcom, einer Kiewer Fruchtbarkeitsklinik. Dutzende Babys liegen in identischen Bettchen. Pflegerinnen mit Gesichtsmasken kümmern sich um die Neugeborenen, füttern, waschen und schaukeln sie. Alles wird von säuselnder Gute-Laune-Musik untermalt.
46 Neugeborene an einem Ort
«Wir haben 46 Kinder in unserem Hotel, erst gestern wurden wieder vier aus der Geburtsklinik gebracht», sagt eine Pflegerin in die Kamera. «Die Eltern der Babys stammen aus den USA, Italien, Spanien, Deutschland oder China.»
Sie zählt weitere Länder auf und gesteht dann ein: «Es ist schwierig für uns, aber wir kommen zurecht. Wir zeigen die Babys ihren Eltern online über Video.» Es sei herzzerreissend zu sehen, wie sehr sie ihre Kleinen vermissten.
Das Video lenkt die Aufmerksamkeit auf die wohl jüngsten Opfer der Coronakrise, auf die rund 100 gestrandeten Babys von Kiew. Sie wurden von ihren Leihmüttern bereits abgegeben, aber von ihren Eltern noch nicht abgeholt, weil die Grenzen aus Angst vor dem Coronavirus geschlossen wurden und es keine Flüge oder Zugverbindungen gibt.
Unfruchtbare Paare reisen in die Ukraine
Die Ukraine hat sich in den letzten Jahren zu einem Zentrum für Paare entwickelt, die keine Kinder haben können. Die künftigen Eltern kommen aus der ganzen Welt. Ganz vorne dabei im Geschäft ist die Firma Biotexcom. «Im Durchschnitt bringt jeden Tag eine unserer Leihmütter ein Kind auf die Welt», sagt Denis Herman, ein Vertreter von Biotexcom, im Interview.
Die Ukraine hat sehr liberale Gesetze. Leihmutterschaft ist in vielen europäischen Ländern, auch in der Schweiz, verboten. Viele Paare versuchen unzählige Male, Eltern zu werden. Wenn es nach Jahren immer noch klappt, entscheiden sich manche zu einer Reise ins Ausland, zu einer Leihmutter.
Biotexcom-Vertreter Herman sagt: «Die USA sind bei Leihmutterschaften weltweiter Marktführer. Aber dort ist diese Dienstleistung deutlich teurer als in der Ukraine, und was die Resultate betrifft, müssen wir uns nicht verstecken.»
Rund 50'000 Euro kostet es bei Biotexcom, wenn eine Ukrainerin das Kind der Kunden auf die Welt bringen soll. Die Leihmutter bekommt etwa ein Viertel davon. Biotexcom-Vertreter Herman sagt, das sei viel Geld für die Ukraine.
«Massenbetrieb» für Babies
Viele dieser Frauen stammen aus kleinen Städten in der Ukraine, wo die monatlichen Löhne vielleicht bei 150 Euro liegen. Es sind nicht nur die guten Ärzte und die liberalen Gesetze, die das Fruchtbarkeitsgeschäft in der Ukraine zum Blühen bringen, es ist auch die Armut vieler Ukrainerinnen. Deshalb sind sie bereit, Leihmütter zu werden.
Die Coronakrise hat das Phänomen ins Rampenlicht gerückt und in der Ukraine eine ethische Diskussion über die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin ausgelöst. Die Menschenrechtsbeauftragte des Parlaments etwa, Ljudmilla Denisova, sprach von einem «Massenbetrieb», in dem Kinder zur Ware würden. Sie forderte ein Verbot von Leihmutterschaft für Ausländerinnen und Ausländer.
Allerdings hat Denisova trotz ihrer kritischen Haltung das Hotel mit den vielen Babys besucht. Die Kinder würden gut betreut, sagte sie vergangene Woche im Anschluss an ihre Visite. Sie werde sich dafür einsetzen, dass betroffene Eltern trotz der Corona-Beschränkungen in die Ukraine reisen und ihr Baby abholen dürfen. Das war vor einer Woche.