Der Blogger Anton Ljadov sass mehrere Tage in einem weissrussischen Gefängnis. Nach seiner Freilassung hat der dem Fernsehsender «Doschd» ein Interview gegeben – und grausame Szene geschildert. «Irgendwann brachten sie einen jungen Mann in eine Nebenzelle. Mein Gott, wie haben sie den verprügelt!» Immer wieder von Neuem. Sie schlugen ihn gegen die Wand, sie zwangen ihn zu rufen: ‹Ich liebe die Polizei›. Irgendwann war er still. Ich glaube, sie haben ihm einen Hoden zertrümmert.»
Was Blogger Ljadov schildert, ist kein Einzelfall. Es gibt unzählige Berichte von extremer Polizeigewalt in Weissrussland. Valentin Stefanowitsch von der angesehenen weissrussischen Menschenrechtsorganisation «Vesna» sammelt die Fälle, wie er im Interview erklärt: «Die Leute melden sich bei uns, manche anonym, andere mit vollem Namen. Wir haben schon mehr als 300 Fälle dokumentiert, einige mit Foto- und Videoaufnahmen.»
Zynisches Kalkül
Auch im Internet veröffentlichen Folteropfer Bilder ihrer Körper: grün und blau geschlagene Rücken, Hintern, Einschnitte von Fesseln an den Handgelenken. Menschenrechtler Stefanowitsch sagt: «Wir haben es mit systematischer Folter zu tun. Wir sehen in allen Städten des Landes das gleiche Bild: Menschen wurden zielgerichtet misshandelt.»
Er glaube nicht, sagt Stefanowitsch, dass dieses brutale Vorgehen Zufall war. «Das war nicht die Initiative der jeweiligen Polizisten. Da gab es einen Befehl von oben, so zu handeln.» Die Gewalt gegen Gefangene war offenkundig Strategie: Die Staatsführung um Präsident Lukaschenko wollte jeden Protest gegen die Wahlfälschung mit Brutalität unterdrücken.
Kaum mehr Massenfestnahmen
In den ersten Tagen nach der Wahl sind 7000 Personen festgenommen worden. Die meisten sind inzwischen wieder frei. «Nach offiziellen Angaben sind zurzeit noch 124 Personen in Haft. Dazu kommen 26 Personen, die schon vor der Wahl im Gefängnis waren – und die wir als politische Gefangene einstufen», sagt Stefanowitsch.
Die Menschen in Weissrussland demonstrieren dennoch weiter. Viele haben sich von der Repression nicht einschüchtern lassen. Die Sicherheitskräfte halten sich im Moment vergleichsweise zurück – in den letzten Tagen kam es nicht mehr zu Massenfestnahmen.
Lukaschenkos «subtilere» Strategie
Der Präsident setzt jetzt auf andere Rezepte: Aktivisten werden gezielt verfolgt – etwa zu Befragungen vorgeladen. Staatliche Medien verunglimpfen die Opposition, streikende Arbeiter werden mit Entlassung bedroht – und gleichzeitig orchestrieren die Behörden Pro-Lukaschenko-Kundgebungen.
Menschenrechtler Stefanowitsch macht sich aber keine Illusionen. Mehrere Leute aus seinem Team sind in den letzten Wochen vorübergehend festgenommen worden. Und die Repression kann jeden Moment wieder schlimmer werden.
Die Menschenrechtler von «Vesna» arbeiten trotzdem weiter. «Unsere Organisation gibt es seit 1996. Uns ist schon vieles widerfahren. Unser Vorsitzender etwa ist dreieinhalb Jahre im Gefängnis gesessen und wir wissen, dass die staatlichen Organe mit uns machen können, was sie wollen.»
Staatschef Lukaschenko jedenfalls hat schon klargemacht, dass er weiter auf die Sicherheitskräfte baut. Er hat 300 Polizisten für ihren «einwandfreien Dienst» mit einem Orden ausgezeichnet.