«Es ist, als ob ich aus einem Traum gerissen wurde. Ein Traum, der 20 Jahre dauerte», sagt Politikerin und Frauenrechtlerin Fawzia Koofi am Telefon von ihrer Kabuler Wohnung aus.
Koofi war Teil der Verwandlung von Afghanistan, wie sie die letzten Jahre beschreibt. Die gut 40-Jährige war Parlamentarierin der ersten Stunde, nachdem sich das Land 2004 eine neue Verfassung gegeben hatte. Sie setzte sich für die Rechte der Frauen und Schulbildung für Mädchen ein – und gegen die Gewalt an Frauen.
Kritik an den USA
Die Erfolge seien grösstenteils auf die Städte begrenzt geblieben, räumt Koofi ein. Aber immerhin, es gab Erfolge. Nun aber ist Koofi von den Geschehnissen der letzten Wochen enttäuscht. Sie fühlt sich betrogen. Betrogen nicht primär von den Islamisten, sondern vom früheren Präsidenten Ashraf Ghani, der das Land verliess. Aber auch von der internationalen Gemeinschaft, vor allem von den USA.
Die USA hätten ein Abkommen für einen Truppenabzug mit den Taliban getroffen, ohne sich mit der afghanischen Führung zu beraten. Koofi war eine der vier Frauen, die in Doha die frühere Regierung in den Verhandlungen mit den Taliban vertrat. Sie hätte dort lieber erst einen Waffenstillstand ausgehandelt und danach hätten die Truppen abgezogen werden können.
Durch die Frist auf Ende August sei die Verhandlungsposition der Regierung geschwächt worden, bis zur Flucht des Präsidenten, der das Feld vollends den Taliban überliess. Das habe sie überrascht, sagt Fawzia Koofi. Jetzt, da das Land demokratische Kräfte dringender benötige als je zu vor, verliessen diese das Land.
Koofi setzt nach wie vor auf Verhandlungen. Auch jetzt, nach der militärischen Einnahme von Kabul durch die Taliban, versucht sie mit ihnen zu reden. Vor allem, weil diese schon jetzt versuchen würden, Frauen von politischen Entscheidungen auszuschliessen.
«Das muss man ihnen schon abringen»
Diese Woche habe eine Versammlung über das künftige Bildungssystem stattgefunden – unter Ausschluss der Frauen, so Koofi. Genau deshalb sei es wichtig, nun mit den Taliban zu verhandeln. Denn von sich aus würden diese nicht die Rechte der Minderheiten oder der Frauen hochhalten. «Das muss man ihnen schon abringen.»
Wenn die nächste Regierung nicht auf demokratischen Werten basiere und die Rechte der Minderheiten respektiere, dann drohe das Land wieder in das alte Regime der Taliban abzudriften. Die Taliban hätten ihre Vorstellungen, wie ein Land geführt werden soll. Es sei nun mehr denn je an den politischen Eliten Afghanistans, dem entgegenzuwirken.
Koofi schwebt ein parlamentarisches System mit Gewaltentrennung und freien Wahlen für das künftige Afghanistan vor. Das scheint in Anbetracht der aktuellen Situation in Afghanistan illusorisch. Doch Koofi hat recht: Wer es nicht probiert, hat schon im Vorhinein verloren.
«Politiker müssen Vorbilder sein»
Auch die internationale Gemeinschaft müsse in Afghanistan weiterhin eine Rolle spielen. «Wenn sich die Weltgemeinschaft jetzt nicht mehr für eine politische Lösung in Afghanistan engagiere, wird dies den Extremisten im Land den Weg ebnen», so Koofi.
Durch die Anerkennung – oder eben nicht Anerkennung – einer Regierung sowie durch Hilfeleistungen und Geldzahlungen könne auch der Westen Einfluss auf den politischen Prozess in Afghanistan ausüben. Doch mehr als die UNO oder die Weltbank nimmt sich Fawzia Koofi selbst in die Pflicht.
Sie, die Politiker, müssten Vorbilder sein. Fawzia Koofi beteuert: Sie werde jedenfalls nicht aus Afghanistan fliehen, wie es die alte Regierung tat.