Warum reisen so viele Israelis und Palästinenser an die Fussball-WM? Die Menschen im Nahen Osten sind schon fast Fussball-fanatisch, sagt die ehemalige Nahost-Korrespondentin Susanne Brunner. Fussballspiele seien oft eine willkommene Ablenkung von den Problemen und Konflikten. Zudem findet zum ersten Mal eine Fussball-WM in der Region statt. Das sei für die Menschen dort ein grosses Ereignis – auch wenn weder die israelische noch die palästinensische Fussballnationalmannschaft mitspielen, so Brunner.
Wie kommen jüdische und palästinensische Israelis nach Katar? Es soll Direktflüge geben. Aber bis jetzt hat sich noch keine Fluggesellschaft darum beworben, direkt von Tel Aviv nach Doha zu fliegen. Einerseits fürchten sie wohl Boykotte arabischer Kunden und andererseits, dass es zu Streit auf einem solchen Flug kommen könnte. Zudem ist die Reisefreiheit von Palästinensern in den besetzten Gebieten (Westjordanland, Gaza) eingeschränkt. Die meisten dürfen nur via Jordanien ausreisen, wenn überhaupt.
Israel lanciert eine «Benimm-Dich-Kampagne» für die eigenen Fussballfans. Welche Punkte enthält diese? Die Kampagne weist darauf hin, dass es in Katar – im Gegensatz zu Israel – nicht erlaubt ist, in der Öffentlichkeit Alkohol zu trinken. Zudem ist auch Homosexualität verboten. In Israel gibt es hingegen eine sichtbare LGBTQ+-Szene. Das israelische Aussenministerium rät zudem, keine Drogen im Gepäck mitzuführen. Denn obwohl auch in Israel der Besitz von Cannabis grundsätzlich verboten ist, gibt es dort keine Gefängnisstrafen für den persönlichen Konsum. Ausserdem sollen Diskussionen über den Nahostkonflikt vermieden werden.
Traut Israel seinen Landsleuten nicht zu, sich in Katar anständig zu benehmen? Gemäss Brunner fürchtet Israel ganz einfach negative Schlagzeilen und diplomatische Zwischenfälle. Denn: Fussballfans auf der ganzen Welt seien nicht unbedingt dafür bekannt, dass sie still und diskret auftreten, wenn sie an einer Fussball-WM mitfiebern.
Kann diese Weltmeisterschaft dazu beitragen, die Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern zu verbessern? Es wäre eine Gelegenheit, sich kennenzulernen – zum Beispiel auf einem Flug oder an einem Fussballmatch. Aber die Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern wird die WM sicher nicht verbessern, schätzt Brunner ein. Araberinnen und Araber empfinden Israel als Besatzungsmacht. Katar unterhält offiziell keine Beziehungen zu Israel, und will das auch in Zukunft nicht ändern.
Hat die Teilnahme Irans an der Fussball-WM Konfliktpotenzial? Für die israelischen Behörden ist dies ein Alptraum, so Brunner. In seiner Benimm-Kampagne legt sie daher ihren Fussballfans nahe, keine israelischen Symbole in Katar zu tragen. Dies gilt auch für Flaggen. Denn diese könnten an einem Iran-Spiel für grosse Provokation mit unabsehbaren Folgen sorgen.
Stellt die Weltmeisterschaft eher eine Chance oder Risiko für den Nahen Osten dar? Susanne Brunner sieht sie eher als Risiko, weil im Moment die Lage im Nahen Osten sehr angespannt ist. Sie verstehe deshalb, warum Israel seine Fussballfans bittet, nicht in jeden Fettnapf zu treten und bitte keine diplomatische Krise auszulösen. Andererseits wäre es den Menschen zu gönnen, wenn daraus eine Chance entstehen würde – und sei es nur durch Begegnungen, so Brunner.