Viele Menschen in Grossbritannien stellen sich wegen gestiegener Energiepreise auf einen harten Winter ein. So will mit 23 Prozent fast jeder Vierte die Heizung nicht einschalten. Dies zeigt eine Untersuchung des Marktforschungsinstituts Savanta ComRes im Auftrag der oppositionellen Liberaldemokraten.
Die Befragung fand statt, bevor die Energiebehörde Ofgem den Deckel für die jährlichen Gas- und Stromkosten am letzten Freitag um 80 Prozent erhöhte – auf umgerechnet 4000 Franken pro Haushalt.
Kredite zum Heizen?
Bei den Befragten mit minderjährigen Kindern liegt der Anteil jener, welche im Winter nicht heizen wollen, mit 27 Prozent sogar noch höher. 70 Prozent der Britinnen und Briten wollen die Heizung seltener aufdrehen, und 11 Prozent erwägen, einen Kredit aufzunehmen. Bei Eltern mit jüngeren Kindern liegt der Anteil gar bei 17 Prozent.
Vor allem Familien mit kleinen Einkommen hätten schon im letzten Winter zwischen Essen und Heizen entscheiden müssen, sagt SRF-Grossbritannien-Korrespondent Patrik Wülser. Deren Zahl werde möglicherweise steigen. Bereits jetzt verteilen Hilfswerke vorgekochte Mahlzeiten, die man mit wenig Energie aufwärmen kann. Viele befürchteten, die privaten Gas- und Stromversorger könnten ihnen bei Zahlungsunfähigkeit den Hahn abdrehen.
Viele befürchten, die privaten Gas- und Stromversorger könnten ihnen bei Zahlungsunfähigkeit die Versorgung abstellen.
Appell an Regierung
Die liberaldemokratische Partei warnte, dass Familien gezwungen würden, herzzerreissende Entscheidungen zu treffen. Das Land stehe am Rande der schlimmsten Lebenshaltungskostenkrise seit einem Jahrhundert.
Die Liberaldemokraten fordern, ebenso wie die grösste Oppositionspartei Labour, die Regierung müsse die Energiepreise einfrieren. Protestkundgebungen am Wochenende riefen dazu auf, die Energierechnungen einfach nicht mehr zu bezahlen.
Äussere und hausgemachte Probleme
Dass die Energiekrise Grossbritannien besonders hart trifft, hängt laut Wülser zum einen mit dem Ukraine-Krieg und der damit verbundenen Gasknappheit ab, ein Faktor, den die britische Regierung weder verantwortet noch gross beeinflussen kann. Zum anderen gebe es inländisch Faktoren wie die grosse Abhängigkeit von Gas an sich: «Es wird immer noch mehrheitlich mit Gas geheizt, gekocht und Warmwasser aufbereitet, und das in miserabel isolierten Häusern.»
Der Staat hat im seit den 1980er-Jahren privatisierten Energiesektor nur beschränkten Einfluss auf die Preisgestaltung. Zudem wurde die Vorratshaltung von Flüssiggas schlicht abgeschafft, womit das Land auf stetige Importe zu Weltmarktpreisen angewiesen ist.
Wird sich Energiekrise auf Wahl auswirken?
Die konservative Regierung ist nach dem Rücktritt von Premier Boris Johnson seit Wochen gelähmt. Eine funktionierende Führung ist erst ab nächsten Montag in Sicht. Während Kandidatin Liz Truss die Steuern senken will, spricht sich Konkurrent Rishi Sunak für Direktzahlungen an Haushalte aus.
Landesweite Umfragen zeigen laut Wülser, dass Britinnen und Briten den Steuersenkungsrezepten von Truss am wenigsten trauen. Das spiele allerdings bei dieser Wahl keine Rolle, denn gewählt werde von einer eher vermögenden und betagten Parteibasis von 160'000 Leuten, die eher an Steuersenkungen und einer rigorosen Migrationspolitik interessiert sei: «Erst bei den Parlamentswahlen in zwei Jahren werden die Tories daran gemessen, wie sie die Energiekrise gemeistert haben», schätzt Wülser.