Seit Tagen zieht sich der Streit um die Einreise von Novak Djokovic nach Australien hin. An den Australian Open in Melbourne will er alleiniger Grand-Slam-Rekordhalter werden. Dem ungeimpften und offenbar genesenen Tennisspieler könnten aber die australischen Behörden einen Strich durch die Rechnung machen.
Die Weltöffentlichkeit verfolgt den «Visums-Krimi» gebannt. Die neueste Wendung: Ein Gericht erklärte Djokovics Klage gegen das Einreiseverbot für zulässig. Die Replik der australischen Regierung steht noch aus.
«Wahrheit und Gerechtigkeit haben gesiegt», erklärte sein Bruder Djordje heute in Belgrad. Novak habe den Kampf «nicht für sich, sondern für die ganze Welt gefochten». Ein vergleichsweise moderates Statement. Denn in den letzten Tagen waren ganz andere Töne aus dem Djokovic-Lager zu vernehmen. So etwa von Vater Srdjan, der seinen Sohn mit Jesus Christus verglich:
Jesus wurde gekreuzigt, ihm wurde alles angetan, und er ertrug es und lebt immer noch unter uns. Jetzt versuchen sie Novak auf die gleiche Weise zu kreuzigen und ihm alles anzutun.
Der serbische Präsident Aleksandar Vucic sprach derweil von einer «politischen Hexenjagd». Und auch der Boulevard feuerte aus allen Rohren. «Novak gewinnt, der Staat kniete nieder!», titelt etwa die Zeitung «Blic».
Erlösungsfantasien, Märtyrerglaube, Nationalismus: In der Rhetorik vermischen sich Sport, Politik und Mystizismus. «Das hat nichts mit Djokovic, Tennis, Australien oder dem Visum zu tun, sondern mit der politischen Lage und jahrzehntelanger Propaganda», sagt Adelheid Wölfl, die für den «Standard» aus dem Balkan berichtet.
Nationalistisches Trommelfeuer
Noch immer dominierten nationalistische Töne das Land, sagt die Journalistin. Dass Teile der Medien und Politik den Fall Djokovic zum Anlass für eine rhetorische Eskalation nehmen, überrascht sie nicht: «Serbien ist keine echte Demokratie. Es gibt fast keine freien Medien und die herrschenden Eliten stützen sich auf das Instrument des Nationalismus, um an der Macht zu bleiben.»
Dieser Nationalismus baue auf einem Opfermythos, ja einem Opferkult auf, wie ihn die Journalistin nennt. Im Fall Djokovic würde nun das Narrativ bedient, dass der dominierende Tennisspieler der letzten Jahre nur aus einem Grund kein Visum erhalten habe: weil er ein Serbe ist. «Und mit ihm wird auch ganz Serbien gedemütigt.»
Beendet Djokovic das «nationalistische Theater»?
Die Wurzeln des Opfermythos gehen für Wölfl bis ins 19. Jahrhundert zurück. Mit dem Zerfall Jugoslawiens und dem Blutvergiessen der 90er-Jahre erhielt die Erzählung neuen Schub. «Die politischen Eliten und die Medien haben den Mythos in den letzten 30 Jahren wieder verstärkt. Viele Leute glauben das wirklich und nehmen sich als Opfer wahr – und in diesem Opfer sehen ihr Heldentum und ihre Befreiung», sagt Wölfl.
Serbische Nationalisten versuchen jetzt offenkundig, den Nationalhelden für ihre Agenda zu vereinnahmen. Es gibt aber auch andere Stimmen aus Serbien. Nüchterner, und mit einer Portion Sarkasmus, beurteilt der sozialdemokratische Oppositionspolitiker Nenad Canak den Fall: «Es gibt keine schlimme Behandlung (für Djokovic), weil er Serbe ist, sondern weil der Esel nicht geimpft ist.»
Für das Image Djokovics sei das «nationalistische Theater» schädlich, schliesst die Journalistin. Ihr Rat an die Tennis-Ikone: Transparenz. «Es geht um unklare Visums-Angelegenheiten, die nichts mit seiner Herkunft zu tun haben. Er könnte das klarstellen, um sich aus dieser nationalistischen Umarmung zu befreien. Dann würden wieder seine unglaublichen sportlichen Leistungen in den Vordergrund rücken.»