Die langjährige Genfer SP-National- und später Ständerätin Liliane Maury Pasquier ist eine Art «Grande Dame» des Europarats. Als erste Schweizerin war sie Vorsitzende der Parlamentarischen Versammlung in Strassburg – und ist dort weiterhin in mehreren Gremien aktiv.
«Falls Alain Berset heute zum Generalsekretär des Europarats gewählt würde, wäre das eine Anerkennung für die Schweiz, jedoch nicht zwingend ein Vorteil», sagt Maury Pasquier. Es wäre eine Anerkennung nicht nur für die Rolle, welche die Schweiz auf der internationalen Bühne spielt, sondern zugleich für die Art und Weise, wie hierzulande immer noch mehr oder minder politisiert wird.
Berset brächte «Schweizer Polit-Schulsack» mit
«Berset träte nämlich mit seinem Schweizer Politik-Schulsack an. Zu dem gehört», so Maury Pasquier, «das System der Kollegialregierung oder der Respekt vor Minderheiten und Partnern. Von dieser schweizerischen Art würde der Europarat profitieren.»
Zumal der Posten des Generalsekretärs nicht zu unterschätzen sei. Maury Pasquier: «Diplomatisch rangiert der jeweilige Amtsinhaber auf Augenhöhe mit Staats- und Regierungschefs. Es geht entschieden um mehr, als eine grosse internationale Organisation zu verwalten. Die Rolle ist überaus politisch.» Und sie biete viel Gestaltungsspielraum, wenn jemand diesen tatsächlich nütze. Die jetzt abtretende Amtsinhaberin tut das nur beschränkt. Doch ihr Vorgänger, der einstige norwegische Ministerpräsident Thorbjörn Jagland, galt als politisches Schwergewicht. So eines könnte Berset, falls gewählt, ebenfalls werden.
Schweiz dürfte nicht bevorzugt werden
«Macht Berset seine Aufgabe gut, darf die Schweiz indes nicht damit rechnen, Nutzen daraus zu ziehen», warnt die frühere Parlamentspräsidentin in Strassburg Maury Pasquier. Denn um allseits akzeptiert zu werden, dürfte Berset sein Heimatland in keiner Weise bevorzugen.
Eines aber könnte er tun, was auch im Interesse vieler in der Schweiz wäre und in jenem anderer Europaratsmitglieder, die nicht der EU angehören: Nämlich die Strassburger Organisation selbstbewusst und als eigenständige Kraft zu positionieren – und nicht im Schlepptau der Europäischen Union.