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Georgische Wahlen Manganabbau in Georgien: Ein Dorf versinkt langsam im Boden

Die Schicksalswahlen in Georgien dürften auf dem Land entschieden werden. Dort fühlen sich viele im Stich gelassen. Das Beispiel von Schukruti.

«Schau mal, da unten», sagt Tamas Neparidse. Sachte bewegt er sich an den Rand einer Schlucht, etwa 100 Meter breit und 30 Meter tief. Unten am Grund stehen Bäume. «Die standen früher hier oben, sind aber nach unten gerutscht.»

Die Schlucht ist erst in den letzten zwei Jahren entstanden. Solche Risse durch die Landschaft, kleinere und grössere, prägen ganz Schukruti, ein kleines Dorf in Zentralgeorgien. Sie ziehen sich durch die Rebberge, durch die Strassen und Hausfassaden. Wo sie sich auftun, beginnt sich der Boden langsam abzusenken.

Sichtbare Folgen des Manganabbaus in der Landschaft

«Acht Tunnels führen in den Hügel unter dem Dorf», erklärt Neparidse. Es sind Stollen für den Abbau von Mangan. «Das Dorf steht auf einem Felsen und darunter ist nichts, nur Leere», so Neparidse.

Verzweifelte Proteste

Eine staatlich geführte Firma dominiert den Manganabbau in der Region. Die Leute in Schukruti wandten sich an die Behörden. Doch sie wurden ignoriert und ihre Proteste wurden zunehmend verzweifelt: Sie blockierten einen Stollen mit einem Zeltlager, traten in den Hungerstreik, einige von ihnen nähten sich gar die Lippen zu.

Schukruti und die Wahlen

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Am Samstag wählen Georgierinnen und Georgier ein neues Parlament. Viele sehen den Urnengang als Schicksalswahl: Das kleine Land im Kaukasus ist EU-Kandidat, doch die Regierung der Partei «Georgischer Traum» regiert zunehmend autoritär und wendet sich Russland zu.

Kurz vor den Wahlen kündigte die Regierung an, mit den Menschen in Schukruti und der staatlichen Bergbaufirma über Entschädigungen zu verhandeln. Die Firma behauptet, sie habe die Dorfbewohner bereits entschädigt. Das bestreiten diese.

Bürgerbewegungen wie in Schukruti will der «Georgische Traum» unterbinden. Mit dem sogenannten «Agentengesetz» hat die Partei im Frühjahr ein Instrument eingeführt, um die Zivilgesellschaft beliebig einzuschränken. Die Bergbaufirma unterstellt den Menschen, sie würden von «radikalen NGOs» und Oppositionsparteien kontrolliert – und kopiert damit die Rhetorik der Regierung, wenn sie gegen ihre Kritiker wettert.

«Wir wollen, dass die Regierung erklärt, wie das passieren konnte», sagt Malchas Labadse im Zeltlager vor dem Stollen. «Sie sagen, sie wollen über Entschädigungen verhandeln. Aber zu uns ist keiner gekommen.» Mit der Forderung nach Entschädigung suchen die Bewohnerinnen und Bewohner vor allem einen Ausweg aus der Armut.

In Georgien entscheidet ein Mann.
Autor: Tamas Neparidse Georgier

Auch die Opposition spricht lieber über grosse Fragen wie Georgiens Weg nach Europa statt über lokale Probleme, wie sie Schukruti hat. Er habe den Glauben an die Politik verloren, sagt Neparidse. Trotzdem geht er am Samstag wählen: irgendjemanden, nur nicht den «Georgischen Traum». Die anderen im Dorf täten es ihm gleich, glaubt er.

«In Georgien entscheidet ein Mann», sagt Neparidse und meint damit Iwanischwili. «Ein Wort von ihm würde genügen, um das alles zu beenden.» Iwanischwili habe vieles versprochen, als er an die Macht gekommen sei, so Neparidse. «Aber er hat nicht geliefert. Ein Unternehmer sollte nie Politiker werden. Er denkt nur an sein Portemonnaie.»

Zentralgeorgien ist eigentlich eine Hochburg der Regierungspartei «Georgischer Traum»: Ihr Gründer, der Oligarch Bidsina Iwanischwili, stammt aus einem Dorf unweit von Schukruti. Im August sind die Dorfbewohnerinnen und -bewohner zu seinem Anwesen marschiert. Der Fall Schukruti zeigt, dass der «Georgische Traum» in zwölf Jahren an der Macht wenig für die Landbevölkerung getan hat.

Druck und Angst

Doch die Regierung hat nach wie vor ihre Anhängerschaft. Und sie hat Möglichkeiten, auf Skeptiker Druck auszuüben. In Zentralgeorgien sind die Seilschaften des «Georgischen Traums» einflussreich, in staatlichen Betrieben wollen die Vorgesetzten oft wissen, wen ihre Mitarbeitenden gewählt haben. «Bei der Arbeit sagten sie mir, ich solle aufhören, zu protestieren», sagt Labadse. Er war bei der staatlichen Bergbaufirma angestellt. «Ich weigerte mich, also haben sie mich entlassen. Aber ich habe drei Kinder. Für sie wehre ich mich bis zum Ende.»

Von den Rissen im Boden ist nicht nur Schukruti betroffen, sondern auch ein Dutzend weiterer Dörfer. Doch in denen will niemand die Regierung offen kritisieren. Sie hätten Angst, den Job zu verlieren, sagen sie. So wie Malchas Labadse aus Schukruti ihn verloren hat.

Echo der Zeit, 25.10.2024, 18:00 Uhr

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