Der Leidensdruck ist gross, die Lage im Schlachtfeld prekär. Dennoch bleibt die Moral in der Ukraine selber verblüffend hoch. Das Vertrauen in die eigenen Streitkräfte und in Präsident Wolodomir Selenski scheint ungebrochen. Natürlich wollen auch die Ukrainer Frieden. Jedoch nicht zum Preis des Ausverkaufs der Heimat und von deren Souveränität.
Die Untersuchung des European Council on Foreign Relations zeichnet zugleich ein interessantes Bild der Haltung im übrigen Europa. Dort zeigt sich – das ist die gute Nachricht für Kiew –, dass die Unterstützung für die Ukraine, inklusive weitere Waffenlieferungen, noch breit ist.
Die Studie zum Nachlesen (englisch)
Umgekehrt wird indes ebenso deutlich: Die wenigsten in Europa sind bereit, eigene Truppen für die Ukraine zu entsenden. Skepsis herrscht auch gegenüber Erhöhungen der Militärausgaben. Die Studienverfasser sehen deshalb «festen, aber nicht unbegrenzten Rückhalt» für die Ukraine.
Zweigeteiltes Europa
Erkennbar ist, dass es in Europa zwei Gruppen von Ländern gibt: die Völkerrechtsverfechter einerseits, die Besänftiger andererseits. Erstere fordern, Russland müsse die eroberten Territorien freigeben und die Ukraine dürfe souverän entscheiden, ob sie der EU und der Nato beitritt. Polen, Briten, Esten und Schweden sind ausgeprägt dieser Ansicht.
Die zweite Gruppe will Moskau besänftigen und drängt die Ukraine zu Nachgiebigkeit gegenüber dem Kreml, in der Hoffnung, das führe rascher zum Frieden. Italiener, Bulgaren oder Griechen führen dieses Lager an. Auch Schweizer oder Deutsche neigen tendenziell auf diese Seite.
In etlichen Ländern stösst die fortgesetzte Militärhilfe für die Ukraine auf Widerstand. Vor allem in Südeuropa lehnt eine deutliche Mehrheit sie ab. Dort rechnen zudem die meisten Befragten mit einem russischen Sieg.
Jene Staaten, die am solidesten an der Unterstützung der Ukraine festhalten – und dort als die verlässlichsten Verbündeten gelten – sind dieselben, deren Bevölkerung fürchtet, nach einem Sieg oder Teilsieg werde Russland weitere europäische Länder überfallen.
So denkt die Schweiz über den Krieg
Die Schweiz situiert sich bei vielen Fragestellungen weder klar im einen noch im anderen Lager, neigt aber eher den Besänftigern zu. So würde die Bevölkerungsmehrheit hier die Ukraine zu einem Frieden drängen. Eine deutliche Anhebung der Verteidigungsausgaben ist nach dieser Studie nicht mehrheitsfähig. Und ein russischer Sieg wird hierzulande als wahrscheinlicher erachtet als ein ukrainischer.
Vieles an den Ergebnissen der Untersuchung sind keine guten Nachrichten für die Ukraine. Sie nähren Zweifel daran, ob der Westen so rasch, so massiv und so lang wie nötig hinter ihr steht, wie es erforderlich wäre, um Russland zum Einlenken zu bewegen.
Auch keine gute Botschaft ist: In fast allen untersuchten Ländern erwartet die Bevölkerung, dass der Krieg in der Ukraine andauert – noch viele Jahre.