Um Weltpolitik zu verstehen, hilft es manchmal, die Eltern-Perspektive einzunehmen. Im Falle von Grossbritannien ginge das so: Stellen Sie sich vor, sie sperren zehn Kleinkinder einen Tag lang in ein Zimmer. Vorher stellen Sie zehn grosse Farbkübel auf den Tisch, ein paar Sägen, Hämmer und vielleicht noch ein paar Kilo Gänsefedern. Mit fast 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit entsteht: ein unfassbares Chaos, tiefgreifende Zerstörung und sehr viel Unglück.
Etwa so lief es in den letzten fast 40 Tagen in Grossbritannien. Die konservative Premierministerin Liz Truss und ihr Finanzminister Kwasi Kwarteng schafften es, innerhalb dieser Frist für unfassbares Chaos, tiefgreifende Zerstörungen und sehr viel Unglück zu sorgen. Ihre Steuerreform, insbesondere die Steuererleichterungen für Reiche, brachten das Volk gegen sie auf. Die Finanzmärkte spielten verrückt – weil die Staatseinnahmen durch die Steuererleichterungen um sagenhafte 45 Milliarden Pfund einbrechen würden. Die Bank of England kam ins Rotieren, versuchte zu retten, was zu retten ist. Familien kamen unter Druck – als wären Inflation und steigende Zinsen nicht schon genug. Chaos total.
Glätten sich die Wogen noch?
Zuerst ruderte Truss ein bisschen zurück. Da und dort ein paar Ecken und Kanten ihres Programms abschleifen. Doch es nützte nichts. Die Talfahrt ging weiter. Jetzt wirft Truss ihren Finanzminister raus – nach 38 Tagen im Amt. Vor ihm war nur ein Finanzminister kürzer im Amt. Iain Macleod war das, 1970. Und der starb an einem Herzinfarkt.
Doch: Was nun? Ist das die Rettung der Politikerin Liz Truss? Der Finanzminister ist nach der Premierministerin der zweitwichtigste Mann im Kabinett. Als Nächstes müsste Truss sich selber feuern – also zurücktreten. Ihr bleibt jetzt die Hoffnung, dass sich die Finanzmärkte beruhigen. Und vor allem: Dass sich ihre Parteifreunde beruhigen. Viel Rückhalt nämlich hat sie nicht mehr. Die Konservativen spüren, wie die Sache entgleitet.
Die grosse Gewinnerin ist die Labour-Partei. 30 Prozentpunkte Vorsprung hat sie schon auf die Konservativen. Neuwahlen wären ein Debakel für Truss – und würden wohl den Politikwechsel einläuten. Die Angst vor Neuwahlen könnte Truss in den nächsten Tagen also noch retten. Vielleicht.