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Gewalt im Tiefen Süden Thailands vergessener Konflikt

Thailand gehört zu den beliebtesten Feriendestinationen der Schweizerinnen und Schweizer. Was viele nicht wissen: Ganz im Süden des Landes schwelt seit Jahrzehnten ein gewaltsamer Konflikt.

Pattama Useng hat vor zwanzig Jahren ihren Bruder verloren. Er starb beim sogenannten Tak-Bai-Massaker. Es ist der grausamste und zugleich bekannteste Fall von Menschenrechtsverletzungen im Tiefen Süden.

Sie könne das Geschehene nicht aus ihrem Gedächtnis löschen, sagt die heute 38-Jährige. In der Ortschaft Tak Bai hatten sich im Oktober 2004 Demonstranten vor einer Polizeistation versammelt. Sie forderten die Freilassung von sechs malaiischen Muslimen.

Ich will, dass die Schuldigen vor Gericht gestellt werden. Sie sollten sich öffentlich zu ihren Taten bekennen und sich für das entschuldigen, was sie den Menschen angetan haben.
Autor: Pattama Useng Schwester eines Demonstranten, der beim Tak-Bai-Massaker umkam

Die Sicherheitskräfte setzten neben Tränengas und Wasserwerfern auch scharfe Munition ein und töteten mehrere Demonstranten. Unter ihnen war auch Pattamas Bruder.

Festgenommene übereinander «gestapelt»

Die Beamten entschieden sich für massive Gewalt. «Dabei hätten sie die Menge mit einer anderen Taktik sicher auflösen können», ist Pattama überzeugt.

Sicherheitskräfte bei der Verhaftung von Demonstranten in Tak Bai.
Legende: Sicherheitskräfte verhaften Demonstranten in Tak Bai. (25.10.2004) Keystone/EPA/STR

1300 Demonstranten werden festgenommen und in ein 150 Kilometer entferntes Lager gebracht. Die Männer werden gefesselt und auf Militärlastwagen gestapelt. Bei dem unmenschlichen Transport sterben 78 Menschen – einige werden erdrückt, andere ersticken qualvoll.

Der «Tiefe Süden»

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Gepanzertes Fahrzeug der Sicherheitskräfte.
Legende: Gepanzertes Fahrzeug der Sicherheitskräfte. SRF/Martin Aldrovandi

Die als Tiefer Süden bezeichnete Region besteht aus den drei Provinzen Pattani, Yala, Narathiwat und Teilen von Songkhla. Sie gehörten früher zum malaiischen Sultanat Pattani. 1909 wurden die Grenzen durch einen Vertrag zwischen dem damaligen Siam und der britischen Kolonialmacht, die das benachbarte Malaysia kontrollierte, neu gezogen. Das Gebiet des ehemaligen Sultanats wurde dem heutigen Thailand zugeschlagen – über die Köpfe der überwiegend malaiischen Bevölkerung hinweg.

Ab Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden zahlreiche malaiisch-muslimische Organisationen, die eine Loslösung von der thailändischen Regierung forderten. Sie fühlen sich vom Zentralstaat politisch und kulturell bevormundet. So ist die Amtssprache in Schulen und Behörden Thailändisch – auch im Tiefen Süden, wo die Mehrheit der Bevölkerung ethnische Malaien sind und ein lokaler malaiischer Dialekt gesprochen wird.

Bis heute kämpfen Pattama und andere Angehörige dafür, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Erst in diesem Jahr, fast zwanzig Jahre später, befasst sich ein Provinzgericht mit dem Fall. Mehrere Verantwortliche wurden angeklagt.

«Wir kämpfen immer noch um Gerechtigkeit. Ich will, dass die Schuldigen vor Gericht gestellt werden. Sie sollten sich öffentlich zu ihren Taten bekennen und sich für das entschuldigen, was sie den Menschen angetan haben», sagt Pattama. Viel Zeit bleibt Pattama und ihren Mitstreiterinnen nicht. Denn: Ende des Monats verjährt der Fall.

Immunität für Sicherheitskräfte

Dennoch ist der Prozess historisch. Bislang wurden Polizei- und Militärangehörige in der Region kaum juristisch belangt. In der Region gelten Sondergesetze, die den Sicherheitskräften im Kampf gegen aufständische Gruppen weitreichende Befugnisse einräumen – sie geniessen fast völlige Immunität.

Friedensdialog und enttäuschte Hoffnungen

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Strassen-Checkpoints gehören zum Alltag im Tiefen Süden.
Legende: Strassen-Checkpoints gehören zum Alltag im Tiefen Süden. SRF/Martin Aldrovandi

Auf politischer Ebene gibt es Friedensbemühungen. Seit etwa zehn Jahren gibt es Friedensdialoge unter Vermittlung des Nachbarlandes Malaysia und unter Einbezug der Rebellengruppen.

Die Friedensdialoge der letzten Jahre gaben immer wieder Anlass zur Hoffnung, wurden dann aber wieder enttäuscht. Die spektakulären und brutalen Anschläge scheinen insgesamt zurückzugehen. Die Angriffe auf rein zivile Einrichtungen sind deutlich zurückgegangen. Die Gewalt scheint sich nun auf Soldaten und militante Gruppen zu konzentrieren.

Wie stark die Unterstützung der Aufständischen in der malaiisch-muslimischen Bevölkerung ist, lässt sich nur schwer messen. Während ein Grossteil der Bevölkerung die Gewalt ablehnt, wünschen sich viele mehr Unterstützung für die eigene Kultur und mehr Autonomie vom Zentralstaat.

Seit Jahrzehnten kämpfen im Tiefen Süden Rebellengruppen für einen eigenen Staat. Sie schrecken dabei auch nicht vor Bombenanschlägen zurück. Die thailändische Regierung hat ihrerseits dort Zehntausende Soldaten stationiert. Der Konflikt hat in den vergangenen zwanzig Jahren mehr als 7000 Menschenleben gefordert.

Junge Muslime werden genau kontrolliert

Der Tiefe Süden unterscheide sich stark vom Rest Thailands, sagt die thailändische Politologin Asama Mungkornchai.

Asama Mungkornchai
Legende: Asama Mungkornchai klagt über Diskriminierung von malaiischen Muslimen. SRF/Martin Aldrovandi

Hier würden viele Menschen diskriminiert. Viele ihrer männlichen Studenten täten ihr leid, sagt sie. Sie seien das Ziel der Checkpoints und würden viel häufiger angehalten als Studentinnen oder Buddhisten. Rund 1800 Checkpoints soll es im Tiefen Süden geben. Etwa 70'000 Soldaten sind dort stationiert. Der Sicherheitsapparat sei für die Menschen hier zur Normalität geworden, klagt Asama.

Wie angespannt die Lage nach wie vor ist, zeigt sich am letzten Tag der Reportagereise. Vor einem Wohnblock der Polizei explodiert eine Autobombe.

Augenzeugenvideos zeigen Feuer und dicke, tiefschwarze Rauchwolken.
Legende: Augenzeugenvideos zeigen Feuer und dicke, tiefschwarze Rauchwolken. Screenshot einer Augenzeugenaufahme

Bei dem Anschlag werden 21 Menschen verletzt, eine Lehrerin stirbt. Sie war zufällig vor Ort, als die Autobombe explodierte.

International, 5.10.2024, 9:08 Uhr;kobt

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