Die weissrussischen Behörden bestätigten am Mittwoch offiziell ein erstes Todesopfer unter den mehreren tausend Festgenommenen im Land. Der 25-jährige Alexander Wichor war auf dem Weg zu seiner Freundin, als er vergangenen Sonntag in Gomel, der zweitgrössten Stadt Weissrusslands, von Sondereinheiten festgenommen wurde. Er konnte seiner Mutter noch eine kurze Nachricht schicken, dass er soeben festgenommen worden sei.
Danach versuchte seine Mutter während Tagen vergeblich an Informationen zu gelangen. Sie erfuhr erst am Mittwoch von den Behörden, dass ihr Sohn im Leichenschauhaus sei. Sie durfte die Leiche ihres Sohnes bisher nicht sehen, die Mutter sagte gegenüber Radio Swoboda, dass sie vermute, man habe ihn stark geschlagen, und dass sie deswegen den Leichnam nicht sehen dürfe. Er hatte vergeblich im Kastenwagen der Polizei um ärztliche Hilfe gebeten, die Polizei brachte ihn in eine Psychiatrie. Dort rief ein behandelnder Arzt einen Krankenwagen, doch für Alexander Wichor kam jede Hilfe zu spät.
Scharfe Munition gegen Unbewaffnete
In der Nacht auf diesen Donnerstag schossen Sicherheitskräfte und Einheiten des Militärs laut eigenen Angaben erstmals mit scharfer Munition. Dabei wurde eine Person getötet. Laut Angaben des Innenministeriums wurden 1000 weitere Personen in der Nacht auf Donnerstag festgenommen.
Es gibt keine abschliessend überprüfbare Zahl, wie viele Personen insgesamt festgenommen wurden, da die Behörden weiterhin nicht systematisch Haftprotokolle erfassen. Auch vor dem Untersuchungsgefängnis, in welchem zurzeit der 21-jährige Schweizer Tanguy Darbellay in Haft sitzt, stehen Angehörige von Weissrussen seit Tagen auf der Strasse, um an Informationen zu gelangen.
Es gibt im Untersuchungsgefängnis in Minsk in den Zellen keine richtigen Toiletten. SRF hat von einem in der Zwischenzeit freigekommenen italienischen Journalisten erfahren, dass auch am Mittwoch kein Essen an die Insassen verteilt wurde.
Claudio Locatelli gelang es laut seinen eigenen Schilderungen in letzter Minute noch, die italienische Botschaft anzurufen und über seine Festnahme in der Nacht von Sonntag auf Montag zu informieren.
Irgendwann habe ich nur noch eine Art von Würgegeräuschen gehört.
Die sanitären Bedingungen sind auch in der Gefängniszelle, in welcher die ausländischen Festgenommenen untergebracht sind, laut seinen Aussagen katastrophal. «Wasser gibt es in der Zelle durch einen Hahn an der Wand. Dieser Wasserhahn ist so verschmutzt, dass ich schwere Magenprobleme bekommen habe und mich übergeben musste.»
Die ärztliche Hilfe, die er nach Auslösen des Feueralarms erhalten hätte, habe darin bestanden, dass man ihm durch die kleine Luke in der Türe den Puls gemessen hat. «Als ob dies etwas mit meinen Magenproblemen zu tun hätte», schildert er.
Misshandlungen durch Sicherheitsorgane
Der italienische Journalist bestätigt die Schilderungen russischer Journalisten, dass die weissrussischen Festgenommenen brutal geschlagen würden. Die ganze Nacht seien Schreie von Insassen zu hören gewesen.
In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch sei es besonders schlimm gewesen. «Während 20 Minuten hat jemand ununterbrochen geschrien. Irgendwann habe ich nur noch eine Art von Würgegeräuschen gehört», beschreibt Locatelli, der am Donnerstagvormittag das Land in Richtung Italien sicher verlassen konnte. Die italienische Botschaft in Minsk hat gegenüber SRF die sichere Ausreise des Journalisten bestätigen können.