Eine Niederlage kann nur vom Besiegten verkündet werden, nicht vom Sieger. Das hat sich in vielen Kriegen und Konflikten bereits bewahrheitet, sei es in Afghanistan, Pakistan, Somalia oder im Jemen. In diesen Konflikten konnten sich Milizen über Wasser halten, trotz massiver Verluste in deren Führungsriegen, wie Jonah Schulhofer-Wohl von der niederländischen Universität Leiden sagt. Manche erstarkten wieder, wie die Taliban oder die Huthi – andere blieben geschwächt, wie die Al-Qaida oder der sogenannte Islamische Staat. Eliminiert aber wurde keine von ihnen.
Struktur und Verankerung sind entscheidend
Wie gut oder schlecht diese Gruppierungen die Tötung ihrer Anführer überstehen, hänge sehr stark von der Struktur der Miliz ab. Und von deren Verankerung in der Bevölkerung, sagt Schulhofer-Wohl weiter. Gerade ältere Gruppierungen mit klaren Führungsstrukturen und einer soliden Basis könnten derartige Tötungen ihrer Anführer wegstecken.
Die Tötung von Führungsfiguren hat oft zur Folge, dass besonders-radikale Flügel einer Miliz Aufwind erhalten.
Ein gutes Beispiel dafür seien die Taliban. Ein weiteres, die Hisbollah im Libanon, deren erster Generalsekretär Abbas al-Musawi in den 1990er-Jahren von der israelischen Armee getötet worden ist. Durch die nächste Führung von Hassan Nasrallah erstarkte die Gruppierung sogar, wie Schulhofer-Wohl sagt. Mit Anschlägen auf israelische und jüdische Einrichtungen in Argentinien und vermehrtem Raketenbeschuss auf Israel exportierte die Gruppe ihren Kampf ins Ausland. «Die Tötung von Führungsfiguren hat oft zur Folge, dass besonders radikale Flügel einer Miliz Aufwind erhalten.»
Schwächung, aber keine Auslöschung
Der Unterschied zu damals ist, dass im aktuellen Krieg die gesamte Führung der Hamas und der Hisbollah innert weniger Monate getötet wurde. Dies führe wohl zu einer effektiven Schwächung der beiden Gruppierungen, nicht aber zu deren Auslöschung, sagt Jérôme Drevon, Dschihadismus-Experte bei der Denkfabrik International Crisis Group. Denn gerade die Hisbollah sei nicht nur eine militärische Kraft, sondern auch eine politische. Sie betreibe soziale Institutionen wie Spitäler und Schulen, was ihr bisher ihren Rückhalt in der Bevölkerung garantiert habe.
Eine staatliche Armee kann eine Niederlage anerkennen. Bei Milizen ist das schwieriger, weil diese sich immer wieder neu formieren können.
Dieser Rückhalt sei nun aber angeschlagen, da die Hisbollah nicht in der Lage war, die Bevölkerung vor den israelischen Angriffen zu schützen. Dies werde den Ruf der Hisbollah schwächen und somit ihren Wiederaufbau erschweren. Dennoch von Kapitulation könne keine Rede sein, so Drevon weiter: «Eine staatliche Armee kann eine Niederlage anerkennen. Bei Milizen ist das schwieriger, weil diese sich immer wieder neu formieren können.»
Ein Szenario wie in Tschetschenien oder in Sri Lanka
Drevon weist auf zwei Ereignisse hin, in denen militante Gruppierungen tatsächlich militärisch besiegt werden konnten: Tschetschenien und Sri Lanka. «Da kann man durchaus von einem militärischen Sieg gegen die Milizen sprechen. Doch haben diese Kriege enorm viele zivile Opfer gefordert». Die Rede ist von Zehn- bis Hunderttausenden Menschenleben.
Die beiden Experten sind sich einig, es brauche eine politische Lösung. Während dies im Libanon zurzeit möglich scheint, ist die Befürchtung gross, dass es in Gaza zu einem tschetschenischen oder sri-lankischen Szenario kommen könnte.