Israels Armee hat einen grösseren Militäreinsatz im besetzten Westjordanland gestartet. Schwerpunkte sollen die Städte Dschenin und Tulkarem sein. Der israelische Einsatz läuft seit letzter Nacht. Israel spricht in diesem Zusammenhang von einem «Anti-Terror-Einsatz» – dem grössten seit 22 Jahren. Mehrere Menschen wurden bisher getötet. SRF-Auslandredaktorin Susanne Brunner zur aktuellen Situation.
Wie ist die Situation derzeit?
Ich habe mit mehreren Menschen in Dschenin und Tulkarem gesprochen. Die Internet- und Telefonverbindungen sind sehr schlecht. Sie sagen, sie dürfen ihre Häuser nicht verlassen und wissen nicht, wann der Militäreinsatz endet oder wann Strom und Wasser abgestellt werden. Eine Mutter berichtete von immenser Zerstörung, und Verletzte können nicht ins Spital gebracht werden, da die israelische Armee die Zugänge blockiere. Die israelische Armee spricht von einem Einsatz von mehreren Tagen. Die Armee könnte bald zur Evakuierung der betroffenen Gebiete auffordern. Diese Strategie ist bekannt aus dem Gazastreifen. Sie könnte darauf abzielen, Flüchtlingslager, in denen sich viele militante Palästinenser aufhalten, zu leeren, um die Gefahr für Israel zu bannen.
Warum kommt der Einsatz gerade jetzt?
Die israelische Armee spricht von einer gezielten «Anti-Terror-Aktion». Allerdings gibt es diese in Dschenin seit Jahrzehnten immer wieder. Seit dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober haben sie massiv zugenommen. Ich habe mit einem Professor für internationale Beziehungen und Konfliktforschung an der Arab American University in Dschenin gesprochen. Ayman Youssef sagt, die israelischen Streitkräfte hätten wohl Hinweise darauf, dass militante Gruppierungen im Westjordanland ihre Aktionen vermehrt koordinierten – und sie wollten diese Koordination zerschlagen, bevor sie für Israel zur Gefahr wird.
Wie reagiert die Palästinensische Autonomiebehörde?
Diverse Gebiete des Westjordanlands stehen eigentlich unter Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde. Diese ist wie unsichtbar. Sie verurteilt jede israelische Militäroperation im Westjordanland, auch diesen. Aber: Sie ist machtlos. Sie kann und will nicht einschreiten, was die Wut und Ohnmacht bei den Palästinensern schürt. Denn sie sind diesen Einsätzen und ebenso der Gewalt radikaler Siedler schutzlos ausgesetzt.
Worauf läuft der Militäreinsatz hinaus?
Professor Ayman Youssef sieht in dem militärischen Grosseinsatz auch die Handschrift der rechtsnationalen Kräfte in Premier Netanjahus Regierung. Netanjahu setze mit diesem Grosseinsatz gleich zwei Zeichen: Er zeigt, dass Israel durchaus fähig sei, einen Mehrfrontenkrieg zu führen – im Gazastreifen, im Norden Israels und auch im Westjordanland. Und es sei auch ein Zeichen an die Palästinensische Autonomiebehörde, dass Israel diesen Konflikt mit Gewalt, und nicht mit Verhandlungen lösen werde.