Italien ist sich Streiks gewöhnt. Auch an diesem Freitagmorgen sind viele U-Bahn-Stationen geschlossen, zum Beispiel die «Ottaviano» in der Nähe des Petersdoms in Rom. Eine junge Frau ist deshalb zu Fuss unterwegs. Trotzdem zeigt sie Verständnis. «Wenn die Gründe stimmen, dann muss man streiken», sagt die junge Frau. Und die Gründe für diesen Streik verstehe sie. In Italien seien die Löhne leider tief, besonders für Frauen.
Ein anderer Passant aber regt sich auf: «Wir haben hier so viele Streiks, inflationär viele.» Die Buschauffeure oder die Angestellten der Metro, die nun streiken würden, hätten gute Arbeitsverträge und eigentlich wenig Grund, die Arbeit erneut niederzulegen, findet er.
Preise stiegen, Löhne stagnieren
Maurizio Landini ist Chef der grössten Gewerkschaft Italiens, der CGIL. Seit Tagen wiederholt er, warum er diesen neuerlichen Streik für nötig hält: Das öffentliche Gesundheitswesen funktioniere schlecht, die Löhne reichten nicht bis zum Ende des Monats, viele Angestellte hätten nur zeitlich begrenzte Arbeitsverträge. Tatsächlich hat sich die Lage vieler Italienerinnen und Italiener verschlechtert. In der Pandemie stiegen die Preise zum Teil sehr stark an, aber die Löhne stiegen kaum oder gar nicht.
Besonders bemerkbar macht sich das im Gesundheitswesen. Schon vor einigen Tagen gingen in Rom Ärztinnen und Ärzte aus dem ganzen Land auf die Strasse.
Einer von ihnen ist Luca Baruta, Chirurg aus Venedig. Er sagt: «Wir sind unterbezahlt. Wir haben tiefe Löhne und lange Arbeitszeiten. Und auf den Notfallstationen sind wir Patienten oder Angehörigen ausgesetzt, die wegen der langen Wartezeiten aggressiv werden.»
Davide, ein Assistenzarzt aus Parma erklärt, was tiefe Löhne sind: «1300 Euro netto im Monat. Obwohl der Arzt etwa 60 Stunden pro Woche arbeitet.» Das staatliche Gesundheitswesen werde nach und nach demontiert, sagt Davide weiter. Das Pflegepersonal und die Ärztinnen und Ärzte fordern deshalb mehr Gelder vom Staat, höhere Löhne und mehr Angestellte, um Überzeiten abzubauen und um die langen Wartelisten im italienischen Gesundheitswesen zu verkürzen.
«Firmen schreiben Gewinne»
Doch das dafür nötige Geld hat die Regierung nicht. Nach Jahren sehr hoher Defizite spart die Regierung von Giorgia Meloni. Damit ist Maurizio Landini, der Chef der Gewerkschaft CGIL, nicht einverstanden: «Die grossen Firmen Italiens schreiben satte Gewinne. Doch von diesen Gewinnen profitieren die Angestellten nicht.»
Tatsache ist: in Italien öffnet sich die soziale Schere, seit Jahren schon, auch unter den Vorgängerregierungen.